Attila Hildmann ist der kleine Platzhirsch, der Justin Bieber, der veganen Szene, immer wieder sehr kontrovers diskutiert polarisiert er wie kein anderer. Sobald man leise Kritik übt oder gar eine Rezension mit weniger als fünf von fünf Sternen veröffentlicht, stürzen sich die Fans (gefühlt 100% weiblich im Alter zwischen 15 und 20 Jahren) mit gewetzten Gemüseschälern auf einen. Und dennoch: Ich hatte beim ersten Durchblättern des Kochbuchs direkt das Gefühl, dass da so langsam jemand erwachsen wird. Natürlich: Hildmann ist ein Poser, wie ich ihn selten gesehen habe. Er präsentiert bildgewaltig und egozentrisch seine Muskeln inklusive perfekt ausgebildetem 8-Pack. Die Anleitung, wie man das eigene Geschwabbel in einen so wohlgeformten Körper verwandelt, gibt es in "Vegan for Fit". Jedenfalls in der Theorie. Denn hier heißt es: 30 Tage eine Challenge nach festen Vorgaben absolvieren.
Der vegane Newcomer schreibt: "Vegan for Fit ist keine Diät, sondern eine überaus gesunde Ernährung, einfach durchzuführen, sättigend, lecker." Aber hier muss ich ihm direkt widersprechen. Natürlich handelt es sich um eine Diät. Schließlich gibt es sogar zwei Definitionen des Wörtchens Diät: Auf der einen Seite im Sinne von „Lebensführung“/„Lebensweise", auf der anderen Seite zur Gewichtsab- oder -zunahme oder zur Behandlung von Krankheiten.
Der Focus des Buches liegt ganz klar auf der Gewichtsreduktion in Kombination mit Muskelaufbau. Ist ja auch nicht schlimm - nur hat das Wörtchen "Diät" leider immer wieder ein negativ belegtes "Gschmäckle". An der Entstehung des Buches haben 40 Testpersonen mitgewirkt, die an der originalen 30-Tage-Challenge teilnahmen. Ihnen ist ein im Buch enthaltenes Beiheft gewidmet, das mit Vorher/Nachher-Bildern und kurzen Interviews über ihre Fortschritte berichtet. Die Gerichte werden in Stufe 1 und Stufe 2 unterteilt und es gibt natürlich für die 30 Tage bestimmte Regeln (ab 16 Uhr nur noch Stufe-1-Gerichte, ab 19 Uhr gar nichts mehr essen).
Außerdem enthält "Vegan for Fit" eine umfassende Einleitung mit Hildmanns Meinung über Diäten, dass man diesbezüglich immer kritisch bleiben und auf seinen Körper hören sollte und darüber, was die Testpersonen an gesundheitlichen Auswirkungen spürten (höhere Konzentrationsfähigkeit, Gewichtsabnahme, bessere Verdauung und sogar steigende sexuelle Bedürfnisse - letzterer Punkt hätte mich als Singlefrau fast vom Testen abgehalten). Verfolgt man die Vegan-for-Fit-Facebook-Gruppe, so klagen auffällig viele Einsteiger über Kopfschmerzen, ja sogar Migräneattacken, Übelkeit, starke Magenkrämpfe. Ich selbst hatte diese Probleme nicht (allerdings ernähre ich mich zum einen schon länger vernünftig und habe zum anderen auch nicht das Bedürfnis stark abzunehmen).
Die Rezepte fand ich sehr inspirierend. Da ich mich noch nicht so lange vegan ernähre, konnte ich hier sehr viele Anregungen finden, besonders was rohvegane Rezepte (Zucchinispaghetti-Bolognese mit Mandelparmesan!) betrifft. Man darf nicht vergessen, dass es viele Menschen gibt, die keinen Zugang zum Internet haben und für die solche Gerichte wirklich neu sind. Oft hatte ich das Gefühl: So langsam wird Attila Hildmann erwachsen - und mit ihm seine Kochkunst. Das Buch ist sehr ausgereift, seine Rezepte werden immer besser und er verzichtet dieses Mal komplett auf Fertigprodukte und Zucker (das ist sogar Teil der Challenge des Buches). Das Buch wurde sogar auf FSC-Papier gedruckt (mag man von dem Label halten, was man will).
Der gesundheitliche Aspekt dieser Challenge ist diskussionswürdig. Der Schwerpunkt liegt auf Low Carb und vielen rohveganen Rezepten mit Massen an Nussmusen und Pflanzenölen. Damit kann man kurzfristig schon abnehmen, aber als langfristige Ernährung halte ich "Vegan for fit" für nicht geeignet. Nach diesen 30 Tagen sollte man unbedingt auch wieder Kohlehydrate (nicht unbedingt "leere" aus Weißmehl) zu sich nehmen und sich Gedanken über Nahrungsergänzung machen (z.B. B12, sofern man der veganen Ernährung treu bleibt).
Der Rezepteteil hat mich umgehauen und jedes Gericht, das ich nachgekocht habe, hat mich - manchmal allerdings erst nach leichter Modifikation - überzeugt. Die oben bereits erwähnte Zucchinispaghetti-Bolognese wird es sicher noch oft geben. Beeindruckt hat mich auch meiner erster Rühr"ei"-Versuch aus schlichtem Tofu. Aber auch das "Amaranth-Joghurt mit Himbeeren und gerösteten Kokosfloken", die Kürbispommes oder die Auberginenschiffchen: einfach klasse! Einzig der "Blumenkohl-Curry-Crunch" war mir mit der angegebenen Würzung viel zu fad.
Manchmal wird kritisiert, dass diese Diät recht teuer sei. Grundsätzlich stimmt das auch. Durch die vielfältige Verwendung von Bio-Nussmusen und dem teuren Matcha kann das Haushaltsbudget schon etwas strapaziert werden. Allerdings kann man mit einem einigermaßen guten Mixer Nussmus leicht selbst herstellen (und dafür reicht ein normaler, leistungsfähiger Mixer völlig aus (ich selbst habe dafür einen von Beem, der knapp 60 EUR kostet). Ich liebe Grüntee, finde das aktuelle Trend-Getränk Matcha aber dann doch verzichtbar. Wenn man 20 - 30 EUR übrig hat: Dann gerne, aber ansonsten ist das wirklich nicht zwingend notwendig.
Tier- und Umweltschutzaspekte werden auch noch kurz erwähnt, aber dafür gibt es andere (geeignetere) Bücher. Eines davon ist z.B. "Wie ich verlernte, Tiere zu essen" von Marsili Cronberg. Veganer, die sich das Buch kaufen, müssen diese ganze Debatte sowieso nicht mehr lesen. Und man darf nicht vergessen: Es ist ein Buch über diese Challenge und darüber, was man in 30 Tagen rein pflanzlicher Ernährung & Sport erreichen kann. So enthält "Vegan for Fit" zur Abrundung auch noch eine kleine Trainingsanleitung zu: Warm-up & Stretching, Kraftübungen Arme & Rücken, Balance, Kraft f. Beine und Brust, 8-Pack-Übungen. Es gibt einen Beispieltrainingsplan (z.B. Tag 1: 60 Min Radfahren & Übungen für Beine; Tag 2: 30 Min schwimmen & Übungen f. Brust, Trizeps, Bauch, Tag 3: Ruhetag usw.). Die täglichen Rezepte kann man sich mehr oder weniger frei aus den vorgestellten Gerichten zusammenstellen.
Fazit: als dauerhafte Ernährung erscheint mir das vegane Low-Carb-Konzept zu einseitig und ich sehe da Mangelerscheinungen vorprogrammiert. Als Einstieg in die vegane Ernährung, zum Abnehmen und generell um fit zu werden ist es allerdings wirklich sehr gut und für mich als Ergänzung zu anderen veganen Kochbüchern unverzichtbar.