Anthony Powell - Eine Frage der Erziehung/A Question of Upbringing

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  • Was in die gleiche Richtung geht, ist die Stilfigur des Euphemismus (ich musste extra nachschlagen, weil ich dieses Stilmittel schon einige Zeit nicht mehr gelesen hatte), die Powell extensiv verwendet und die geradezu das Kennzeichen seines ironischen Stils ist. Euphemismus, also Beschönigung, verwendet er, um gerade dadurch die Person oder Handlung, die er dadurch kennzeichnet, zu entlarven und lächerlich zu machen.


    Das war mir auch aufgefallen, aber ich kam nicht auf den Ausdruck dafür. Der Übersetzter hat dies, wie ich finde, recht gut umgesetzt. Ich habe mal wieder das Nachwort zuerst gelesen und dort erwähnt Feldmann, wie schwierig es ist, oder fast unmöglich, den Text 1:1 wiederzugeben, da es im Deutschen keine vergleichbare Sprachebene gibt.


    Ich bin nicht gerade eine Schnellleserin, aber durch den verwendeten Stil entschleunigt sich mein Lesen erheblich, da ich die Sätze teils 2 Mal lese, um alles zu erfassen, was der Autor ausdrücken möchte. Ein Beispiel dafür war dieser Satz, den Stringham zu Jenkins sagte, als diese bei ihm zu Mittag aß:

    Zitat

    Ich mag Peter wirklich sehr, aber ich weiß nicht so recht, ob man ihn bei sich im Haus haben könnte, oder?


    Wobei er dann hiermit ergänzte:


    Zitat

    ... Aber du musst zugeben, dass Peter nicht gerade fürs Familienleben geeignet ist.


    Wenn man Stringhams Familienleben betrachtet, eine interessante Feststellung, die mich länger vom Lesen abhielt, da ich wie Jenkins der Meinung war, dass Buster und Templer sich doch ausgezeichnet verstanden hätten. :breitgrins:

  • Valentine: Danke für den Link! Ein schönes Stück :smile:.


    gelesen: 2. Kapitel


    Die Personencharakterisierungen und Ereignisse muss ich erst einmal verdauen.
    Zunächst nur so viel: Ich weiß nicht, warum Onkel Giles Meinung, dass nur Beziehungen einen weiterbringen, in ein so negatives Licht gestellt wird, denn ich finde, in diesem Falle hat er doch recht. Nichts anderes macht Jenkins, indem er Einladungen seiner Internatskollegen folgt: Er knüpft Kontakte. Nicht bewusst vielleicht, aber genau das ist doch der Zweck solcher Gesellschaften.


    Ich muss noch darüber nachdenken, was ich von all den Leuten halten soll. Ehrlich gesagt ist mir keine einzige der beschriebenen Personen sympathisch. Alle haben irgendwelche unangenehmen Züge. Und irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihnen furchtbar langweilig ist und sie sich aus dieser Langeweile heraus irgendwelche Gemeinheiten ausdenken.


    Was sind denn "Liebesgaben" für stationierte Amerikaner?

  • Was sind denn "Liebesgaben" für stationierte Amerikaner?


    Ich glaube, damit ist gemeint, dass die britische Bevölkerung den neu in den 1. Weltkrieg eingestiegenen Amerikanern irgendwelche Carepakete und Socken u.ä. schenkte. Nach dem deutschen Bombardement der "Lusitania" mit amerikanischen Passagieren an Bord erklärten 1917 die Amerikaner, die sich vorher herausgehalten hatten, den Mittelmächten, also dem Deutschen Reich und Österreich/Ungarn, den Krieg. Das war die entscheidende Wende, die in die Immobilität des Stellungskriegs Bewegung brachte und zum Sieg der Alliierten führte. Vorher war das nicht so klar, weil die Russen nach der Revolution aus dem Krieg ausgeschieden waren und mit Deutschland den Sonderfrieden von Brest-Litowsk abgeschlossen hatten. Deshalb waren (nicht nur) die Briten natürlich unheimlich froh, jetzt die Amerikaner, die z.T. ihre Einheiten in GB stationierten, an ihrer Seite zu wissen.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • Meine Ausgabe enthält allerlei Illustrationen, Gemälde, Fotographien, Werbeplakate aus der Zeit usw, so natürlich auch das titelgebende Gemälde von Nicolas Poussin.


    Das ist ja klasse!


    Zitat

    Daran hat sich aber wahrscheinlich nicht viel geändert, auch jetzt werden Jugendliche ausgeschlossen wegen falschen Klamotten oder Haarschnitten.


    Manches ändert sich nie! Und auch heute ist es sicher oft so, dass sich die "falschen" von den "richtigen" Klamotten gar nicht so sehr unterscheiden. Manchmal vielleicht nur im Markenlogo.


    Zitat

    Widmerpool ist wohl jemand, der schon sein eigenes Ding durchzieht (z.B. seinen Sport), aber wohl doch gerne Anschluss hätte, denn warum findet er es fast schon eine Ehre, von einem anderen, beliebteren Schüler mit einer Banane beworfen zu werfen?


    Darüber musste ich auch etwas nachdenken, aber wahrscheinlich hat er sich dadurch auf verquere Weise zugehörig gefühlt, weil er durch die Bananenattacke "gesehen" wurde und nicht einfach nur jemand, der hintenrum belästert und sonst eher wie Luft behandelt wird.



    Was sind denn "Liebesgaben" für stationierte Amerikaner?


    Im Original heißt es "comforts". Ich habe überlegt, ob darunter eine sehr körperliche Art von Komfort bzw. Trost in Form von Prostituierten zu verstehen sein könnte oder ob es sich einfach um kleine Annehmlichkeiten handelt. Deshalb danke, finsbury, für Deine Erläuterung!


    Mehr zu Kapitel 2 gleich von meiner Seite. Dass es den wohlhabenden Herrschaften schrecklich langweilig ist und sie deshalb auf mehr oder minder geistreiche Weise herumsticheln oder sich gleich beknackte Streiche spielen, ist auch meine Einschätzung. Diesen Stripling insbesondere finde ich ziemlich unsympathisch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich bin leider erst bei der Hälfte von Kapitel 2.


    finsbury,
    ich kann mich leider nicht so gut in Worte fassen, aber du hast mit deinen Aussagen genau den Punkt getroffen.


    yanni,
    ich denke, das wäre ein sehr interessantes Zusammentreffen geworden. :breitgrins:


    @louzilla,
    ich hatte eigentlich gar nicht den Eindruck, dass Jenkins die Einladungen nur als Selbstzweck sieht, Beziehungen aufzubauen. Natürlich helfen einem Beziehungen weiter, aber ich habe es so verstanden, dass Onkel Giles Beziehungen als Entschuldigung für alles anführt, warum er im Leben nicht auf der Sonnenseite steht, andere wiederum nicht. Und er biegt sich diese Aussage so zurecht, wie es ihm passt.

  • Im Original heißt es "comforts". Ich habe überlegt, ob darunter eine sehr körperliche Art von Komfort bzw. Trost in Form von Prostituierten zu verstehen sein könnte oder ob es sich einfach um kleine Annehmlichkeiten handelt. Deshalb danke, finsbury, für Deine Erläuterung!


    Mein erster Gedanke war auch, ob da wohl Prostituierte organisiert werden, das schien mir dann aber doch zu gastfreundlich.
    Danke finsbury für die ausführliche und plausible Erklärung!



    ich hatte eigentlich gar nicht den Eindruck, dass Jenkins die Einladungen nur als Selbstzweck sieht, Beziehungen aufzubauen. Natürlich helfen einem Beziehungen weiter, aber ich habe es so verstanden, dass Onkel Giles Beziehungen als Entschuldigung für alles anführt, warum er im Leben nicht auf der Sonnenseite steht, andere wiederum nicht. Und er biegt sich diese Aussage so zurecht, wie es ihm passt.


    Das stimmt, aber im gleichen Atemzug beschreibt er ja auch, dass gerade Giles fast ausschließlich nur mit Beziehungen durch sein Leben kommt. Vielleicht sollte damit auch nur dessen Doppelmoral kritisiert werden.
    Dass Jenkins bewusst Beziehungen knüpft, glaube ich nicht - zumindest noch nicht. Aber Gesellschaften und Bälle dienen genau dazu.
    Überdies kommt mir Jenkins seltsam unbeteiligt an den ganzen Geschehnissen vor. Er scheint auch kaum in eine Kommunikation oder Beziehung involviert zu sein. Er ist immer noch nicht greifbar und erscheint nur als unbeteiligter Beobachter. Bin ja gespannt, ob das so bleibt. Er ist wohl noch sehr unbedarft, entdeckt gerade erst das weibliche Geschlecht...


    Ansonsten ist das ja ein Hauen und Stechen - unter der Oberfläche gepflegter Konversation.


    Die Idee mit dem Nachttopf ist schon witzig und vor allem, dass dieser Stripling in flagranti erwischt wird, was mich glauben lässt, dass Sunny alles von Anfang an mitbekommen hat - auch, dass Jenkins ihn beobachtet hat. Deshalb fragt er auch so nach, das roch irgendwie nach Test.


  • Dass es den wohlhabenden Herrschaften schrecklich langweilig ist und sie deshalb auf mehr oder minder geistreiche Weise herumsticheln oder sich gleich beknackte Streiche spielen, ist auch meine Einschätzung.


    Das kann ich auch nur unterstreichen! Und gerade hierin liegt auch der Wert der sozialen Analyse, die Powell hier leistet. Auch wenn er selber ein Spross der Middle-Upperclass ist, sieht er seine Leute ganz schön kritisch. Ihr wohl oft hohles Leben, das sie durch erotische Abenteuer, dämliche Streiche und Gewäsch füllen, wird dem Leser sehr deutlich. Andererseits kultivieren sich einige eben auch wie Powell und finden dann zu diesem herrlichen Schreibstil. :smile:

  • Beziehungen sind überall das A und O, das ist heute nicht anders als damals. Die Frage ist halt, wie opportunistisch man sie sich zunutze machen will. Onkel Giles erscheint mir im wesentlichen eins: unzufrieden mit sich und seinem Leben und neidisch auf alle, denen es in irgendeiner Weise besser geht; gleichzeitig scheint er aber auch nicht gewillt, große Veränderungen anzupacken und zieht sich deshalb auf die Position zurück, dass er ja in seine Situation hineingeboren worden ist und darum dies und jenes für ihn gar nicht in Frage kommt. So ganz greifbar ist er für mich aber trotzdem noch nicht, ich bin gespannt, was wir über den noch herausfinden.


    Die ganze hohle Fassade und die gepflegte Langeweile in dieser Gesellschaftsschicht wird bei beiden Besuchen deutlich, die Jenkins seinen Freunden abstattet. Alles dreht sich um Äußerlichkeiten und Unwichtiges, und man gluckt zusammen, weil es sich so gehört oder weil einem nichts anderes einfällt, obwohl man einander eigentlich nicht leiden kann und sich nicht viel zu sagen hat. Was für ein ätzendes Leben!


    Lady McReith finde ich interessant. Gibt sie sich nur den Anschein einer Lebedame oder stammt sie womöglich aus "niedrigeren" Verhältnissen? Auf jeden Fall war Jenkins bei ihrer Tanzdemonstration ganz schön von der Rolle. So nah ist er einer attraktiven Frau wohl noch nie gewesen. In der Szene fand ich die Formulierungen wieder besonders schön: "I had become aware, with colossal impact, that Lady Reith's footing in life was established in a world of physical action of which at present I knew little or nothing." :breitgrins:


    Die Sprache finde ich einfach herrlich. Manche Sätze muss ich zwar mehrmals lesen, um sie wirklich zu erfassen, aber ich amüsiere mich köstlich über diesen pointierten Stil, der zwar sehr wortgewandt ist, aber trotzdem nicht affig-manieriert wirkt (was ich zunächst befürchtet hatte).


    Die Szene mit dem Nachttopf war klasse. Dass Stripling am Ende der Dumme ist, hätte ich nicht erwartet, und es hat mich gefreut, dass Farebrother ein bisschen Genugtuung bekommen hat. Er mag manchmal alles zu ernst nehmen und wirkt etwas "ehrpusselig", um mal einen altmodischen Ausdruck zu gebrauchen, aber ihn dauernd so sehr aufs Korn zu nehmen, finde ich gemein.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Die Szene mit dem Nachttopf war klasse. Dass Stripling am Ende der Dumme ist, hätte ich nicht erwartet, und es hat mich gefreut, dass Farebrother ein bisschen Genugtuung bekommen hat. Er mag manchmal alles zu ernst nehmen und wirkt etwas "ehrpusselig", um mal einen altmodischen Ausdruck zu gebrauchen, aber ihn dauernd so sehr aufs Korn zu nehmen, finde ich gemein.


    Wobei Jenkins ihn kurze Zeit später als einen alten Geizkragen entlarvt, was sich ja auch vorher schon andeutete. Farebrother täuscht mit seinem abgerissenen Aussehen und seinem devoten Verhalten. Vermutlich wird sich sehr viel später herausstellen(da die nächste Begegnung erst in 20 Jahren sein wird), dass er sehr reich ist und viele derjenigen, die jetzt von oben auf ihn herabsehen, finanziell weit überholt.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Ich habe gestern das 2. Kapitel beendet und ich bin begeistert, wie pointiert Powell diese (seine) Gesellschaftsschicht auf die Schippe nimmt und sie "zeichnet".


    Nochmals zu Onkel Giles - gestern haben mich die Kinder beim Schreiben gestört (was man auch merkt :redface: )
    Valentine hat es gut auf dem Punkt gebracht. Giles ist chronisch unzufrieden mit seinem Leben, aber anstatt ihn das anspornt, etwas zu ändern, verfällt er in Nörgeleien, dass es die anderen grundsätzlich besser haben, weil sie nicht in seine "schwierige" Situation hineingeboren wurden, ungeachtet dessen, dass es darunter genügend Leute gibt, die es eigentlich nicht so angenehm haben wie er. Für alles führt er die Entschuldigung der ihm fehlenden Beziehungen an, die andere jedoch (anscheinend) haben. Gleichzeitig weißt aber Jenkins darauf hin, dass gerade Giles jemand ist, der vermutlich mehr Beziehungen hat und diese "ausnutzt", als andere Leute.
    Zum Ende des zweiten Kapitels wurde mir aber nun auch bewusst, dass Jenkins in dieser Hinsicht vermutlich nicht so unbedarft zu sein scheint, wie ich ihn noch nach seinem Besuch bei Stringham empfunden habe.


    Bei Jenkins Aufenthalt bei den Templers habe ich sehr stark die Oberflächlichkeit dieser Gesellschaft wahrgenommen. Ich könnte es mir nicht vorstellen, so leben zu müssen und es wäre mir zuwider. Andererseits finde ich es dennoch sehr amüsant, darüber zu lesen. Und das schafft Powell sehr gut - er zeichnet diese Umstände sehr genau, aber er schafft es dennoch, dass man sich als Leser nicht über die Figuren "aufregt".


    Sehr interessant fand ich die Figur Farebrothers. Zuerst erscheint er als jemand, der von seinen Mitmenschen (in diesem Falle den Templers) ausgenutzt wird und die ihn von oben herab behandeln. Er verfällt in einer unterwürfige Haltung und lässt es mit sich geschehen. Mit der Zeit kristallisiert es sich aber heraus, dass er gar kein so "armes Würstchen" ist, sondern seinerseits seine Beziehungen zu seinem Vorteil nutzt. Und, was immer deutlicher wurde, es scheint, dass Sunny ein ziemlicher Geizkragen ist. Ich bin jetzt schon sehr auf das Zusammentreffen in 20 Jahren gespannt - ich denke, es dürfte ganz reizvoll sein zu sehen, wo die einzelnen Personen dann stehen und evtl. auch die Positionen gewechselt haben.


  • Vermutlich wird sich sehr viel später (da die nächste Begegnung erst in 20 Jahren sein wird), dass er sehr reich ist und viele derjenigen, die jetzt von oben auf ihn herabsehen, finanziell weit überholt.


    Das könnte ich mir gut vorstellen. Ich bin auch gespannt auf dieses Zusammentreffen (und vermute generell, dass wir uns alle Figuren, denen wir begegnen, gut für später merken sollten ;) ).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • gelesen: Kapitel 3 bis S. 132 einschließlich (Jenkins liegt nach der Begegnung mit

    mit Übelkeit im Bett)


    Ich bin ja noch nicht zu weit vorgedrungen, aber ich nehme mal stark an, dass Jenkins in diesem Kapitel den ersten physischen Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht haben wird.
    Was ich befremdlich finde ist, dass er plötzlich denkt, er sei in Jean Templer verliebt. Davon hat man bei seinem Aufenthalt bei den Templers nichts gemerkt. Gut, er hat sich über ihre Abfuhr beim Ball aufgeregt, aber das habe ich auf verletzte Eitelkeit zurückgeführt. Ebenfalls seltsam: Er sagt, am intensivsten hätte er auf der Fahrt nach Frankreich an sie gedacht, und als er die Eindrücke, die er auf dieser Zugfahrt sammelt, beschreibt - kein Wort über Jean.


    Sensationell: Die Begegnung mit Widmerpool und das Problem, welche Sprache man nun spreche. Ich habe den Eindruck, dass immer, wenn Widmerpool aufkreuzt, es auf gewisse Weise skurril wird.


    Madame Leroy macht ja auf Jenkins nachhaltigen Eindruck - irgendwie scheint er sie für ein transzendentes Wesen zu halten; manchmal scheint mit ihm die Phantasie durchzugehen.

  • Ich habe jetzt endlich das 2. Kapitel beendet. Im Gegensatz zu euch will bei mir der Funken nicht überspringen. Ich lese und langweile mich. Die Personen - und dabei vor allem der Ich-Erzähler - interessieren mich nicht die Bohne. Gerade der Ich-Erzähler ist mir sehr schemenhaft, und das hat Auswirkungen auf seine Erzählung. Ich weiß nichts über ihn - weder über seinen damaligen Hintergrund (am meisten wissen wir noch über seinen Onkel Giles) noch über seine Verhältnisse in seiner Erzählgegenwart (Anfang der 50er), daher weiß ich weder woraus noch wohin er sich entwickelt hat und damit fehlen seiner Entwicklungsgeschichte wowohl Basis als auch Ziel. Wenigstens eines von beiden brauche ich, um mich für seine Entwicklung zu interessieren und sie einordnen zu können. Drücke ich mich verständlich aus?



    die gepflegte Langeweile in dieser Gesellschaftsschicht


    überträgt sich leider voll auf mich. Ich sehe keinen Grund dafür, meine Zeit mit denen zu verbringen.



    "I had become aware, with colossal impact, that Lady Reith's footing in life was established in a world of physical action of which at present I knew little or nothing."


    Meine Güte! Umständlicher konnte er wohl nicht ausdrücken, was er fühlte. :rollen:


    Ich werde das nächste Kapitel wohl noch lesen, aber darauf Lust habe ich nicht.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich bin noch etwas weiter gekommen, bis Seite 142 in meiner Ausgabe (gerade hat das legendäre Tennismatch zwischen den Herrn Örn und Lundquist stattgefunden).


    Die Zugfahrt in Frankreich war alleine schon ein kleines Meisterwerk der Beschreibung und ziemlich lustig :breitgrins: Bei den Leroys geht es ähnlich zu wie bei den Templers und Stringhams, nur dass man den Tennisplatz nicht direkt hinterm Haus hat, sondern ein Stück entfernt, und das Haus recht klein zu sein scheint. Aber man schlägt hauptsächlich die Zeit tot und wird dabei vor lauter Langeweile richtiggehend kindisch.


    Der Tennisplatz mit, äh, Charakter hat mich auch sehr zum Schmunzeln gebracht und mich an die Federballmatches meiner Kindheit erinnert. Da wurden auch bestimmte Zonen einfach zum Aus erklärt, Bälle zwischen Baumästen hindurch geschlagen oder mitten im Feld rumliegende Katzen in die Punktewertung einkalkuliert :breitgrins: Und auch das Benehmen der tennisspielenden Herrschaften ist nicht sehr viel reifer als das, was meine Schwester und ich an den Tag legten (da endete nämlich kaum ein Spiel regulär, meistens gab es irgendwann zwischendurch Zoff und böse Worte).


    Örn (über dessen Namen ich mich immer wieder beömmeln muss) und Lundquist sind mir ja zwei Herzchen. Aber wenn sie sich nicht gegenseitig beharken könnten, würde ihnen wahrscheinlich was fehlen. Was für ein fades Leben das sein muss :rollen:


    Dass uns hier ausgerechnet

    hätte ich in keinster Weise vermutet. Das ist ja ein Ding. [spoiler]Aber irgendwie wirkt er hier genauso fehl am Platz wie in England. Und dass die beiden miteinander selbst dann französisch reden, wenn sie allein sind, ist ja affig. Er scheint auch immer noch sehr eifrig darauf bedacht, gemocht zu werden, wie etwa deutlich wird, als er zurückrudert, nachdem er über Romane abgelästert und dann gemerkt hat, dass Jenkins einen Roman unterm Arm hat.


    Dubuisson und seine Frau erscheinen mir in der Tat wie die Spiegelbilder von Farebrother (nur etwas dubioser) und Lady McReith (nur etwas weniger attraktiv).



    Was ich befremdlich finde ist, dass er plötzlich denkt, er sei in Jean Templer verliebt. Davon hat man bei seinem Aufenthalt bei den Templers nichts gemerkt.


    Ab und zu gab es mal ganz dezente Andeutungen. Gleich bei der Ankunft war er irgendwie fasziniert von ihr, und auch später gab es noch mal eine kleine Szene, in der er gleichzeitig in ihrer Nähe sein wollte und schrecklich unsicher war.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Wenigstens eines von beiden brauche ich, um mich für seine Entwicklung zu interessieren und sie einordnen zu können. Drücke ich mich verständlich aus?


    Ich glaube zu wissen, was Du meinst :breitgrins: Mich stört das manchmal in Büchern auch, wenn ich keinen "Anker" habe, an dem ich mich beim Lesen "festhalten" kann.


    Zitat

    Meine Güte! Umständlicher konnte er wohl nicht ausdrücken, was er fühlte. :rollen:


    :lachen: So unterschiedlich sind die Geschmäcker. Ich könnte mich wegschmeißen bei dieser Ausdrucksweise. So geschraubt sie auch wirken mag, so sehr passt sie zu den Kreisen, die da beschrieben werden.


    Zitat

    Ich werde das nächste Kapitel wohl noch lesen, aber darauf Lust habe ich nicht.


    Quälen musst Du Dich nicht!


    Ich muss ja öfter mal an "Downton Abbey" denken. Die Lord- und Ladyschaften dort sitzen doch auch ständig teetrinkend in irgendwelchen Salons rum und ziehen sich andauernd vor jeder Mahlzeit um :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • In einem Punkt muss ich Saltanah recht geben (und ich habe es schon mehrfach geschrieben): Jenkins (der Erzähler) wirkt unbeteiligt, hat keine Persönlichkeit, tritt nicht in Erscheinung, obwohl er mitten im Geschehen ist. Er hat auch keinen Standpunkt, muss sich beispielsweise die Antwort, welche Sprache zu sprechen sei, überlegen, kommt auf kein Ergebnis, was er entgegnen soll. Das stört mich auch.


    Und wenn ich die beiden ersten Kapitel und deren Wirkung auf mich vergleiche: ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das erste ist amüsant, interessant, spannend; das zweite erschreckend, ja, teilweise auch nervig weil ich mich - im Unterschied zu Hafermilch - schon über die Leute aufgeregt habe.


    Das dritte Kapitel finde ich hingegen wieder vielversprechend und ich lese gern weiter.

  • Inzwischen bin ich im vierten Kapitel.


    Saltanah, deine Auffassung kann ich verstehen, wenn ich sie auch nur teilweise teile. Mir fehlt inzwischen auch ein wenig das Fleisch am Ich-Erzähler, der im luftleeren Raum schwebt und mehr als Hohlspiegel seiner Beobachtungen fungiert.
    Aber vielleicht muss man bei diesem Roman akzeptieren, dass der Ich-Erzähler in der Tat im Wesentlichen der Beobachter ist, sein persönliches Erleben und Tun weniger interessiert.
    Im dritten Kapitel verliebt er sich ein weiteres Mal, aber auch hier endet das Ganze in einer witzigen Verwechslung, wir werden nicht mit seinen weiteren Gefühlen und deren Konsequenzen "behelligt".
    Dieser Punkt des fehlenden Profils des Ich-Erzählers kann ich also durchaus verschmerzen, aber langsam fehlt mir ganz einfach die Reflexion.
    Ich lese den Roman weiterhin gerne und werde wohl auch die anderen Bände gerne lesen, aber ob man jetzt diesen Zyklus als einen der ganz großen Romane des 20. Jahrhunderts bezeichnen sollte, kann ich aus diesem ersten Band nicht ableiten. Aber es sind ja noch 11 Bände zu lesen ... .
    Und diese Art des Humors mit dem ständigen Understatement und uneigentlichen Sprechen muss man mögen. Ich liebe allgemein den englischen Humor, auch bei Dickens und z.B. in Stevenson/Osbournes "Die falsche Kiste", aus der mein Nickname stammt. Aber ich habe die Erfahrung machen müssen, dass einige Freunde, denen ich den letztgenannten Roman empfahl, überhaupt nicht verstanden, was ich daran lustig finde. Andererseits gibt es in England sogar Menschen, die jährlich ein bestimmtes Menü aus dem Roman nachkochen und weitere kultische Handlungen zur Erinnerung an dieses Kabinettstückchen vollbringen.


    Nun ja, dennoch ist der Roman für mich eine Lesefreude und ich bin schon traurig, dass ich den ersten Band bald durchhabe. Aber heute ist ein großes Paket mit weiteren fünf Bänden eingetroffen (den zweiten hatte ich schon). Die Einbände sind wunderschön und ich bin voll freudiger Erwartung auf unterhaltsame Lesestunden, jenseits davon, welchen literarischen Wert das Oeuvre haben wird. Das wird sich zeigen. Es kommen ja auch noch sehr ernste Themen, mindestens zwei Bände zum Zweiten Weltkrieg. Da wird sich zeigen, ob es bei dem virtuosen Geplauder bleibt.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Schade, dass der Roman nicht allen gefällt.


    Ich habe gestern Abend im Bett mit dem 3. Kapitel begonnen und ich habe nur ungern das Buch zur Seite gelegt und das Licht gelöscht. Bisher hat mir das Buch viel Freude bereitet und ich musste auch an der ein oder anderen Stelle vor mich hinschmunzeln. Mir gefällt es wirklich gut, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich gerne ruhige Romane lese. Daher würde ich mich schon freuen, wenn der erste Band nicht unser letzter Band in der Leserunden wäre.


    @louzilla,
    Jenkins hat schon Andeutungen gemacht, dass er sich in Jean verguckt hat - zumindest habe ich es so verstanden. Daher war ich eigentlich gar nicht erstaunt, dass über seine Gefühle zu Jean berichtet hat.

  • Ich habe gestern das zweite Kapitel gelesen. Bisher langweilen mich Jenkins Beobachtungen nicht, auch wenn ich schon hoffe, irgendwann noch mehr über ihn zu erfahren.


    Auch ich fühle mich beim Lesen oft an Downton Abbey erinnert, dort wie bei Templer´s oder Stringham´s Familie verbringt man die Zeit mit belangloser Konversation, kleinen und größeren Intrigen, Klatsch und Tratsch oder, wie Templer´s Schwester und sein Schwager, damit, sich Gemeinheiten und Peinlichkeiten für seine Mitmenschen auszudenken.
    "A Dance to the Music of Time" wird ja oft mit "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Proust verglichen, und Ähnlichkeiten kann ich hier schon entdecken. Hier wie dort gibt es detaillierte, manchmal vielleicht sogar etwas langatmige Beschreibungen von Abendessen, Ausflügen und Tee- oder Kaffeekränzchen, und damit aber auch vom Zustand der jeweiligen Gesellschaft und Machtverhältnis innerhalb einer Gruppe.
    Im zweiten Kapitel ist Fairbrother ein bisschen der Außenseiter, der eben gerne für die Witzchen der restlichen Gesellschaft herhalten ist, aber wie wird es sein, wenn man ihm das nächste Mal begegnet? Schon bei der Geschichte mit dem Nachttopf ist ja dann gar nicht er der Dumme.


    Ich bin jetzt mal gespannt, was das dritte Kapitel bringt. Anscheinend hinke ich schon wieder etwas hinterher, deshalb werde ich mir jetzt gleich das Buch schnappen und weiterlesen.
    So schön meine Ausgabe auch ist, ist sie doch etwas unhandlich, was mir schon am Wochenende beim Zugfahren und jetzt gerade wieder in der Badewanne aufgefallen ist... :zwinker: :baden:

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen


  • Schade, dass der Roman nicht allen gefällt.


    Ich habe gestern Abend im Bett mit dem 3. Kapitel begonnen und ich habe nur ungern das Buch zur Seite gelegt und das Licht gelöscht. Bisher hat mir das Buch viel Freude bereitet und ich musste auch an der ein oder anderen Stelle vor mich hinschmunzeln. Mir gefällt es wirklich gut, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich gerne ruhige Romane lese. Daher würde ich mich schon freuen, wenn der erste Band nicht unser letzter Band in der Leserunden wäre.


    Aber nein! Mir gefällt der Roman! Insgesamt habe ich viel Freude beim Lesen trotz der Tatsache, dass es den ein oder anderen Kritikpunkt gibt. Ich weiß schon, dass ich Kritik manchmal harsch anbringe und es dann wie ein Verriss rüberkommt. Aber so ist es gar nicht gemeint. Was ich beim Lesen eurer Kommentare zum 2. Kapitel gemerkt habe, ist, dass mir (noch) die nötige Distanz fehlt, mit der die beschriebene Gesellschaft zu betrachten ist. Das ist auch der Grund, dass ich dieses Kapitel ähnlich ätzend fand, wie die Leute sind.



    Jenkins hat schon Andeutungen gemacht, dass er sich in Jean verguckt hat - zumindest habe ich es so verstanden. Daher war ich eigentlich gar nicht erstaunt, dass über seine Gefühle zu Jean berichtet hat.


    Das dachte ich beim Lesen auch zunächst, kam aber dann zu dem Schluss, dass ich Flöhe husten höre - aber offensichtlich doch nicht.



    Auch ich fühle mich beim Lesen oft an Downton Abbey erinnert, [...]


    Ich liebe Downton Abbey und hatte gehofft, dass der Roman in die Richtung geht, aber in dieser Serie hat es Menschen mit Visionen und das sehe ich im Roman (noch) nicht.