Ewald Arenz - Alte Sorten

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    Sally und Liss, zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Personen, sind die Protagonistinnen dieses Buches. Sally, 16 Jahre, ist eben aus einer Klinik abgehauen. Auf ihrem Weg begegnet sie Liss, die alleine einen Bauernhof bewirtschaftet. Liss bietet ihr eine Unterkunft an, bittet sie um Hilfe bei der Ernte und ist ansonsten sehr wortkarg. Sally hat ein gestörtes Verhältnis zum Essen und beginnt sich bei Liss allmählich wohler zu fühlen. Sie möchte auf keinen Fall zurück in die Klinik oder zu ihren Eltern, die sie ihrer Meinung nach gar nicht wahrnehmen.


    Mit der Zeit beginnt sie sich Gedanken über Liss zu machen, die kaum Kontakte hat und nicht gern über sich spricht. Die Arbeit auf dem Hof interessiert Sally und als ihre Eltern sie dort finden und wegholen, rundet sich auch Liss Geschichte ab, die in Rückblenden Stück für Stück erzählt wird.


    Die Geschichte wird auf sehr ruhige Art erzählt. Da beide Frauen Persönliches gerne für sich behalten, muss man sehr genau hinhören. Die anfänglichen Unterschiede entpuppen sich allmählich eher als Ähnlichkeiten. Liss bemerkt, dass sie sich in Sally wiederfindet, was diese als übergriffig empfindet. Mal weichen sie einander aus, mal prallen sie aufeinander. Kann es zwischen den beiden zu einer Art Freundschaft kommen, oder besteht sie womöglich sogar schon?


    4ratten+ :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Zwei Frauen – zwei Welten – eine Freundschaft


    Sally, die in einer Klinik ihre Magersucht und ihre psychischen Probleme auskurieren soll, flieht von dort und findet sich inmitten von Weinbergen wieder. Hier versucht gerade Liss, eine ältere Frau, den Anhänger ihres Traktors aus einer Schlammspur zu befreien. Mit Hilfe von Sally gelingt ihr das endlich. Sie bietet dem jungen Mädchen an, auf ihrem Hof die Nacht zu verbringen. So beginnt eine wunderbare Freundschaft.


    Dabei sind die beiden Frauen so unterschiedlich und zugleich sich ähnlich. Sally, jung, unangepasst, wütend, will einfach nur als sie selbst gesehen und gehört werden; Liss einsam, arbeitsam und traurig, nimmt einfach nur an, was sie mit Sally bekommt. Sie lässt sie sein, wie sie ist, nimmt sie an, ohne sie zu bedrängen oder über sie zu urteilen. Und sie scheint ein unsichtbares Band zu verbinden, wobei sich Liss immer öfter in der jungen Sally wiedererkennt. Schön zu lesen, wie sich Sally und Liss ganz langsam annähern. Sally stellt Fragen, die Liss nicht beantwortet, nicht beantworten will. Bis zu dem Zeitpunkt, wo beide Frauen ihrem Inneren Luft machen und ihre Vergangenheit offen auf den Tisch kommt.


    Aber es geht nicht nur um diese Freundschaft der beiden Frauen, die sich ganz leise und langsam entwickelt. Es geht auch um den Bauernhof, den Liss ganz allein bewirtschaftet mit allem, was dazu gehört. Sie widmet sich mit Hingabe der Landwirtschaft, dem Weinanbau, und den alten Birnenobstsorten hinten im Garten – einem wunderschönen Ort, wie ich finde. Sie hält Hühner, keltert und entringt den Bienen ihren Honig. Und jetzt, wo Sally da ist, greift sie mit an, hilft bei der Kartoffelernte und bei der Weinlese, ist beim keltern mit dabei und brennt Schnaps.


    Mir gefällt diese leise, melancholische Sprache. Aber es geht auch ganz anders. Auch ohne einen Namen zu lesen, erkenne ich an der Sprache, mit wem ich es gerade zu tun habe. Sally oft wütend, hart und ausfallend; Liss dagegen leise, und ruhig. Das finde ich einfach genial. Dass gerade ein Mann diese Gefühle und Emotionen von zwei gegensätzlich-gleichen Frauen so rüber bringt, hätte ich nicht erwartet.


    Ein wunderbarer, emotionsgeladener Roman über zwei so unterschiedliche Frauen, die sich im Laufe von ein paar Wochen gegenseitig Halt geben. Eine Geschichte, die mich aufgewühlt hat und die noch lange in mir nachwirken wird. Ein Buch, das ich jedem empfehlen kann zu lesen.


    5ratten

  • "Alte Sorten" von Ewald Arenz erschien bei Dumont (geb., HC, 2019) und ist ein absolut lesenswerter Roman über die Lebensgeschichten zweier ungleicher Frauen, die sich gegenseitig helfen können, aus einem problembelasteten Leben einen Ausweg finden zu können und alte Verletzungen zu heilen....


    Wir begegnen zum einen Sarah ( Sally); einer 17jährigen jungen Frau, die aus einer (der vielen) Kliniken entflieht, in denen sie es einfach nicht mehr aushält: Sie rebelliert (nicht ganz zu Unrecht) gegen die Welt der Erwachsenen, der sog. professionellen Helfer, was sich in Essstörungen zeigt und einem sehr negativen Selbstbild. Liss, eine ältere, Mitte40jährige Frau, lebt seit Langem alleine im elterlichen Hof, den sie selbst bewirtschaftet, sich jedoch - umgeben von Büchern - vor der Welt und den Dorfbewohnern, die sie allesamt ausser Anni, der zähen alten Bäuerin, die noch mit 80 Jahren Rad fährt, ablehnen.


    Die beiden begegnen sich zufällig auf dem Weinberg von Liss und nachdem Sally hilft, den Anhänger des Traktors aus dem Graben zu ziehen, bietet Liss ihr spontan an, dass sie auf dem Hof übernachten kann. Sally bemerkt, dass diese Frau anders ist, direkt und offen - und auch wenn sie geraume Zeit "immer auf dem Sprung" ist und an ihre Grenzen stößt, wird aus einer Nacht eine längere Zeit, Wochen.....


    Zeigt sich in Sallys Sprache und Handlungen deren innere Zerrissenheit anfangs, so stellt man nach und nach fest, dass ihr die körperliche Arbeit auf dem Hof gut tut und sie immer mehr in ihrer sensiblen Mitte ankommt: Sie ist intelligent und weiß oft im Voraus, welche Handgriffe beim Kartoffelernten, Keltern, Imkern, Schnapsbrennen und Weinlesen zu tun sind. Behutsam lassen die beiden unterschiedlichen Frauen sich mehr und mehr aufeinander ein, ohne sich einzuengen: Sie helfen sich gegenseitig und gewähren sich dennoch Freiheit, eine neue Erfahrung und nach alten Verletzungen eine heilende für beide! So stellen sich bei der zuvor verstörten Sally erste positive Impulse ein (Gedanken zum Septemberlicht)


    "Es war, als wollte die Welt noch einmal zeigen, wie schön sie sein konnte, wie viele Farben sie hatte, wie frisch sie riechen konnte!" (S. 71)


    Als Septemberkind haben mich diese Zeilen, die auch den intensiven, klaren und prägnanten, dennoch sehr atmosphärischen Schreibstil des Autors kennzeichnen, sehr berührt.


    Der Romantitel bezieht sich auf einen verwilderten alten Garten voller Birnbäume, der von Liss verhasstem Vater angelegt worden war und von deren Bitterkeit zeugt, bevor Sally ihn kurzerhand in einen "Zaubergarten" verwandelt, der wild belassen wurde und jetzt Liss gehört - sie eröffnet damit eine neue, heilsame Perspektive für Liss, die dies "so noch nicht gesehen hatte". Liss, die viele verletzende Erfahrungen in ihrem Leben machen musste, wirkt sehr stark und dennoch auch zerbrechlich


    "Ich würde so gerne erleben, einmal nur, dass ich jemand reicher gehen lassen kann, als er zu mir kommt. Reicher und gesünder". (Zitat Liss S. 174)

    Dieser Roman mit seinen beiden auf ihre jeweils unterschiedliche Art starken Charaktere ist ein intensives Leseerlebnis, da auch der Hof und die Landschaften atmosphärisch dicht beschrieben werden und eigene Bilder im Leser wachrufen. Wird es Sally und Liss gelingen wie bei der Bestäubung der Bienen mit Puderzucker, die "Milben der Vergangenheit" allesamt hinter sich zu lassen, um ein freies, eigenständiges und glückliches Leben zu führen?

    Fazit:

    Ein Roman voller sprachlicher Tiefe, Ewald Arenz verfügt über einen ausgesprochen klaren, schnörkellosen Schreibstil, der alles Unwesentliche bewusst beiseite lässt - dafür aber die Vorstellungskraft und die Sinne des Lesers aktiviert. Eine sehr intensiv erzählte Geschichte über die aufkeimende Freundschaft zwischen zwei verletzten, ungleichen Frauen, die sich einander annähern und denen es durch ungesagte Zuneigung gelingt, einander zu helfen! Emotional, aufwühlend, nachdenklich stimmend - und letztendlich optimistisch. Sehr lesenswert! Daher von mir 5* sowie eine Leseempfehlung.


    5ratten

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Die siebzehnjährige Sally ist wütend auf die Welt, auf alle, die ihr vorschreiben wollen, was sie zu tun hat. Aber sie ist auch wütend auf sich selbst. Dann begegnet sie Liss. Die ältere Frau fragt sie, ob sie mal eben helfen kann, den Anhänger des Traktors aus dem Graben zu ziehen. So eine einfache Frage wirft Sally etwas aus der Bahn. Ansonsten stellt Liss keine Fragen zu Sally als Person, sondern bietet ihr an, auf ihrem Hof zu übernachten. Es bleibt nicht bei einer Nacht. Liss lebt sehr zurückgezogen und spricht nicht über sich selbst. Doch die Frauen arbeiten gemeinsam und kommen sich näher.


    Dieses Buch habe ich inzwischen schon zweimal gelesen und es hat mich wieder gepackt. Die Sprache ist schnörkellos und doch einnehmend.


    Sally ist abgehauen, weil sie es satt hat, immer die Erwartungen der anderen erfüllen zu sollen. Ihre eigenen Wünsche bleiben dabei auf der Strecke. Das macht sie wütend und hilflos. Sie fühlt sich unverstanden. Dann trifft sie auf Liss, eine Frau, die in sich ruht, aber auch ihre Verletzungen davongetragen hat. Liss hat keine Erwartungen an Sally, sie stellt keine Fragen. Sie nimmt Sally, wie sie ist. Beim gemeinsamen Arbeiten erfährt Sally, dass Bäume in den Himmel wachsen dürfen und die alten Sorten Birnen aussehen dürfen wie Eier. Nichts muss, alles kann.


    Obwohl beide Frauen die andere nichts fragen, kommen sie sich näher und es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft. Irgendwann fühlt Sally sich zugehörig und es fühlt sich richtig und gut für sie an.


    Es ist eine wunderschöne emotionale Geschichte über zwei verletzliche, aber auch starke Frauen, die erfahren, dass mehr in ihnen steckt, als sie selbst erkannt haben.


    Ich liebe dieses Buch und werde es sicherlich noch öfter lesen. Absolute Leseempfehlung!


    5ratten

  • Alte Sorten - Roman - Ewald Arenz


    Ein Herbstbuch ist diese Geschichte von 2 Frauen, die in ein Leben gedrängt werden was sie nicht wollen. Die eine zerbricht fast daran, weil sie alles verliert und nur vor sich hinlebt, aufgerüttelt durch den Teenager, der unverstanden, wütend, voller Hass und Frust aber hochbegabt, wissbegierig, voller Feingefühl und Sinnhaftigkeit in ihr Leben tritt. Im Eklat können sich beide helfen und finden vllt in ihr Leben....


    Die klare einfache Sprache, der ruhige melancholische Ton, aber auch die harten Jugendwörter haben mich überzeugt. Der Autor konnte wohl auf einige eigene Erfahrungen und Erinnerung zurückgreifen.

    Einzig die Aneinanderreihung der diversen Arbeiten auf dem Bauerhof kamen mir konstruiert vor - eine einzelne Frau, die alle diese Dinge ohne große Hilfe verrichtet, das konnte ich im nachhinein doch nicht ganz glauben. Aber der Geschichte hat es keinen Abbruch getan.


    Von mir gibt es 4ratten


    Gelesen habe ich es im Rahmen meines Lesekreise, zur Besprechung gab es Birnen - ein herrlicher Spätsommerabend im Garten. :sonne:


    Liebe Grüße

    schokotimmi

  • Ewald Arenz holt mich mit seinen Büchern direkt ab, so auch mit diesem. Charaktere wie Sally und Liss sind mir schon mehrmals begegnet, aber niemand hat sie so dargestellt wie es der Autor tut. Er schafft es, mit nur wenigen Worten mir zu vermitteln, was sie denken und fühlen.


    Das Zusammenleben der beiden entwickelt sich langsam, Sally muss sich erst in der ungewohnten Umgebung zurecht finden und Liss muss lernen, einen fremden Menschen in ihr Leben zu lassen. Erst danach erzählt Ewald Arenz die Geschichten der beiden Frauen.


    Der Autor braucht dazu nicht viele Worte. Aber mit diesen wenigen Worten malt er Bilder in meinem Kopf. Ich kann mir den Hof nur zu gut vorstellen, die Sommerhitze und die staubigen Felder. Für mich ist Ewald Arenz eine der Entdeckungen dieses Jahres.

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • (Wie peinlich :redface: - ich merke tatsächlich gerade erst hierdurch, dass Ewald Arenz ja tatsächlich der Autor des tollen Buches Der große Sommer ist und das öfters schon hier registrierte Buch Alte Sorten ein weiterer Roman von ihm - und nicht wie bisher nach Cover und Titel automatisch angenommen ein Sachbuch über alte Obstsorten... ^^ )


    (DANKE - schon bestellt.. ;) )

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Ich habe das Buch in einem öffentlichen Bücherschrank entdeckt und konnte mich erinnern, dass ich hier begeisterte Stimmen gehört hatte. Deshalb habe ich es mitgenommen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Was für ein schönes Buch!


    Sally und Liss, so unterschiedlich und sich doch so ähnlich.

    Zunächst fragt man sich, warum Liss Sally einfach bei sich aufnimmt, ohne Fragen zu stellen. Doch wenn man mehr über beide erfährt, wird das klar. Die beiden haben mehr gemeinsam als man auf den ersten Blick vermutet. Und so nähern sie sich ohne viele Worte an und merken bald, dass sie aufeinander aufpassen müssen - was sie auch tun.


    Ich mochte "Alte Sorten" sehr. Das Buch ist gleichzeitig ruhig und hart, mit heftigen Momenten. Aber diese Mischung ist so gut gelungen.

    Weitere Bücher des Autors stehen auch schon auf meiner Merkliste.

  • Sallly ist aus der Psychiatrie abgehauen und kommt auf dem Bauernhof von Liss unter. Die beiden Frauen habe jede ihr Päckchen zu tragen, doch sie sind ehrlich zueinander und lassen einander vor allem Platz. Das führt letztlich dann bei allem Misstrauen, welches beide gegenüber Menschen hegen, doch zu einer vorsichtigen Freundschaft.


    Es sind ja manchmal Kleinigkeiten, die mich stören und aus der Begeisterung reißen. Hier die Tatsache, dass jemand am 03. Oktober ein Zeitungsarchiv besucht. Das ist ein Feiertag, das hat da bestimmt nicht geöffnet. Und prompt zweifle ich auch andere Details an und bin weniger zufrieden mit dem Buch. Dabei gefiel es mir bis dahin doch sehr gut. Und erst einmal in kritischer Rückschau angekommen, muss ich auch anmerken, dass mir die Botschaft, dass man mit einem einfachen „mal in Ruhe lassen“ psychische Probleme beheben könnte, dann doch etwas zu einfach formuliert ist. Die echte Ursache wird nicht aufgedeckt (das bräuchte auch ein vollständiges Gutachten) und so weiß ich nicht ob ein einfaches „Druck wegnehmen“ tatsächlich Heilung bringen würde und nicht nur ein gefährliches Zwischenhoch. Hier setzt der Autor dann schon eine etwas rosarote Brille auf.


    Nichtsdestotrotz. Das war schon ein sehr schönes und stimmungsvolles Buch und ich gucke mal, was von dem Autor ich noch gerne lesen möchte


    4ratten

  • Ich denke, ich weiß es schon, liebe illy : Der große Sommer liegt abholbereit in meiner Biblio ;) (und bin sicher, dass ich die weiteren von Ewald Arenz auch noch lesen werde, die noch fehlen: toller Autor!!)

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)