Philip Pullman - Das Bernstein-Teleskop

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  • Ein anderes Beispiel ist die Unkonstanz der Figuren. Sie scheinen fast durchs Band an leichten Persönlichkeitsstörungen zu leiden und sind absolut unberechenbar. Die Pubertät scheint bei Pullmans Junioren rund 24 Stunden zu dauern - das ist etwa die Zeitspanne, die Lyra und Will vom «unschuldigen» Kindsein zu reifem, erwachsenem Verhalten brauchen. Da würden sich aber viele Eltern freuen, wenns im richtigen Leben auch so wäre...


    Komisch. Wenn aussen Fantasy drauf steht, aktzeptiert man merkwürdig geformte Lebenwesen, die auf Koskosnüssen fahren wie unsere Kids auf Rollerblades. Aber dass Wesen, die aussehen wie Menschen, riechen wie Menschen und mehr oder weniger handeln wie Menschen, insofern nicht menschlich sind, als sie schneller reifen als unsere Kids - das wird dann dem Autor vorgeworfen. Ja, haben denn unsere Kids schon mit 12 Menschen umgebracht, an Schlachten teilgenommen und andere Universen bereist? Schaut euch mal ein Kind in einer brasilianischen Favela an! Das wird sehr ähnliche Erlebnisse gehabt haben, wie hier Will und Lyra. Diese Kids sind schon mit 10 erwachsen. Und Pubertät haben die auch keine. Aber schaut euch diese Kids nicht zu lange an. Die mögen das nicht, und es könnte das letzte Mal gewesen sein, dass ihr einen solchen Krieger, eine solche Kriegerin angeschaut habt. Für immer. Im Ernst. Denn diese Kids haben Revolver...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • So. Im übrigen werde ich Band 3 jetzt mal ruhen lassen. Definitiveres dazu folgt später. Nur noch eine Bemerkung: Marys Instrument ist kein Teleskop ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ja? In der englischen Rezeption wird immer wieder auf Pullmans Referenzen an Milton und an William Blake hingewiesen. Pullman ist ein Poeta doctus - His Dark Materials Professorenliteratur...


    Der deutsche Schuber ist so aufgemacht, dass ich ihn eindeutig in Fantasy-Jugendliteratur einordnen würde. Hinweise darauf, dass es sich um etwas anderes handelt, gibt es nicht, der Klappentext lässt auch auf nichts anderes schließen, ein Vorwort gibt es nicht. Zwar steht am Anfang ein Zitat von Milton, aber das sagte, zumindest mir, erstmal gar nichts, zudem ist es vom Carlsen Verlag. Wenn ich die Bücher also kaufe, habe ich keinerlei Veranlassung anzunehmen, dass ich etwas völlig anderes bekomme :zwinker:

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • *seufz* - ein Kind spielt die Hauptrolle, also muss es ein Kinderbuch sein ... manchmal gehören Verlage und Lektoren ganz einfach verhauen...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Anscheinend wurde es gar nicht erst gelesen. Blöd ist halt, dass der Leser mit einer ganz anderen Vorstellung an das Buch heran geht, man muss ja fast zwangsläufig enttäuscht sein und ohne Vorkenntnisse zu einigen Dingen, erschließt sich einem die Geschichte erst zum Schluss. Umgekehrt lesen es einige wahrscheinlich gar nicht erst, eben weil es in dieser Aufmachung daher kommt.

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Ich habe hier im Thread ja bereits einmal geschrieben, das sich leider inhaltlich nicht mehr viel von dem Buch wiedergeben kann. Ich weiß aber noch, dass ich die Trilogie damals mit 16 oder 17 Jahren gelesen habe, den Bezug zu Paradise Lost konnte ich nicht herstellen und ich habe auch sicherlich nicht alles verstanden. Dennoch hat mich die Trilogie sehr beeindruckt, das Gefühl ist bei mir auf jeden Fall geblieben und ich finde es schade, dass hier doch so viele von dem Buch enttäuscht waren.


    Ich habe die Bücher auf meinen Hörbuch-Wunschzettel, da hören realistischer ist, als noch mal lesen. Falls ich es irgendwann in diesem Jahrhundert noch schaffe, bin ich schon sehr gespannt darauf, wie ich die Bücher diesmal bewerte.

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • Lyras Queste geht mit diesem dritten Band von <em>His Dark Materials</em> zu Ende. Noch einmal zieht Pullman sämtliche Register seines philosophischen und literaturgeschichtlichen Wissens.


    In gewisser Weise könnte man nämlich den Band 3 als Allegorie auf die Geschichte der Philosophie interpretieren. Ohne die Analogie zu weit treiben zu wollen. Mittel- und Angelpunkt der Story ist die Reise der beiden Protagonisten, Lyra und Will, durch die Welt der Toten. Lyra nämlich schuldet Roger, dem Spielgefährten ihrer Kindertage, noch eine Entschuldigung. Sie hatte sich seinerzeit (in Band 1) aufgemacht, ihn aus den Klauen jener kirchlichen Institution zu retten, die Kinder von der Sünde (d.i. dem "Staub") befreien wollte, indem sie sie von ihrem Dæmon trennte. Sie konnte Roger retten - nur um ihn unmittelbar darauf ihrem eigenen Vater, Lord Asriel, auszuliefern, der dieselbe Operation an ihm vornahm. Roger starb und gleichzeitig entstanden in den verschiedenen Universen kleine und grössere Risse, durch welche nun der "Staub" alle Welten für immer verliess. Sich bei Roger zu entschuldigen, war primäres Ziel von Lyras Queste, den Ursprung und das 'Wesen' des Staubs zu eruieren, kam dazu, zum Schluss dann auch die Aufgabe, das endgültige Verschwinden des Staubs aus den Universen zu stoppen.


    Auf ihrem Weg machen Lyra und Will auch eine gewissen philosophische Entwicklung mit. Die Tatsache, dass ausser dem Körper (der nach dem Tod langsam zerfällt) und der Seele (dem Dæmon, der sich sofort auflöst) noch etwas da ist, das sich in der Welt der Toten aufhalten kann, bringt Lyra auf den Gedanken eines 'Ich', das erst die Einheit von Körper und Seele denken kann. Das höchste Ziel der seelenlosen Toten, ist es nun nur noch, einen Weg an die Oberfläche zu finden, wo sich ihre Atome endgültig auflösen und mit den Atomen der Gräser, der Wolken etc. wieder vermischen können. Stand beim 'Ich' eindeutig Descartes Pate zur Idee, ist es hier ebenso eindeutig Lukrez gewesen und der spätere Materialismus.


    Lyra und Will begehen unterwegs viele Fehler, aber gerade ihre Fehler ermöglichen es ihnen immer wieder, auf ihrer Queste einen weiteren Schritt voran zu kommen. Natürlich erfüllen sie alle ihre Ziele; und sogar der letzten Versuchung, sich irgendwo ein geheimes Fenster offen zu halten, um sich gegenseitig in ihren Universen besuchen zu können, widerstehen Lyra-Eva und Will-Adam. Die Fenster werden alle geschlossen, der Intelligenz bringende "Staub" bleibt erhalten.


    Das Ende ist mir persönlich etwas allzu glatt geraten. Die platte Moral von der Geschicht', auch wenn es eine anti-kirchliche ist, wirkt essentiell bieder. Und, ja: Pullmans Werk ist essentielle Professoren-Literatur. Neben dem von Kritikern im angelsächsischen Raum immer wieder angezogenen Milton (<em>Paradise Lost</em>!) ist es vor allem der den dortigen Kritikern wohl eher unbekannte, und deshalb kaum erwähnte Heinrich von Kleist mit <em>Über das Marionettentheater</em>, wo Kleist die natürliche Grazie und Vollkommenheit der Unschuld deklariert, die das Bewusstsein nie erreichen kann. (So, wie das Kind Lyra ihren Aloëthemeter intuitiv lesen kann, diese Fähigkeit im Laufe des Roman zusehends verliert, und als sie sich dann, trotz ihrer nur 12 oder 13 Jahre erwachsene Frau, in Will verliebt, endgültig nicht mehr lesen kann.) Ebenfalls meist unterschlagen wird der komplexe Einfluss eines komplexen Autors: William Blake. Blake war zugleich eine Art Mystiker und ein Aufklärer, der all sein Vertrauen in die Kraft der Vernunft setzte. Sei Satz:
    <blockquote>Men are admitted into Heaven not because they have curbed & govern’d their Passions or have No Passions, but because they have Cultivated their Understandings.</blockquote>
    könnte Pullmans Trilogie als Motto dienen.


    Gesamtfazit: Ich weiss nicht, ob die Trilogie wirklich 'gut' ist. Der erste Band liefert eine atmosphärisch dichte Schilderung eines etwas retardierten Oxford, die wirklich gelungen ist. (Pullman konnte hier schildern, was er selber kannte!) Band 2 ist eine eher zähe Angelegenheit, eine Aufstellung der Figuren für den Show-Down von Band 3. Der nimmt dann wieder Fahrt auf, aber

    Allerdings hat mich dafür die eine Szene völlig entschädigt, wo der HErr persönlich auftritt: ein völlig dementer, uralter Engel, der in einer Bahre vor den anstürmenden Truppen Lord Asriels gerettet wird, den aber der Schreck über die unterwarteten und ihm unerklärlichen Ereignisse dennoch tötet (ja, auch Nietzsches <em>Gott ist tot</em>! wird in dieser Trilogie zu Ehren kommen).


    Nicht zu 100% befriedigend also, aber unterm Strich dennoch nicht schlecht, da intelligent und mit grossem Wissen geschrieben.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

    Einmal editiert, zuletzt von sandhofer ()


  • Gesamtfazit: Ich weiss nicht, ob die Trilogie wirklich 'gut' ist. Der erste Band liefert eine atmosphärisch dichte Schilderung eines etwas retardierten Oxford, die wirklich gelungen ist. (Pullman konnte hier schildern, was er selber kannte!) Band 2 ist eine eher zähe Angelegenheit, eine Aufstellung der Figuren für den Show-Down von Band 3. Der nimmt dann wieder Fahrt auf, aber

    Allerdings hat mich dafür die eine Szene völlig entschädigt, wo der HErr persönlich auftritt: ein völlig dementer, uralter Engel, der in einer Bahre vor den anstürmenden Truppen Lord Asriels gerettet wird, den aber der Schreck über die unterwarteten und ihm unerklärlichen Ereignisse dennoch tötet (ja, auch Nietzsches <em>Gott ist tot</em>! wird in dieser Trilogie zu Ehren kommen).


    Nicht zu 100% befriedigend also, aber unterm Strich dennoch nicht schlecht, da intelligent und mit grossem Wissen geschrieben.


    Ich habe die Trilogie vor vielen Jahren gelesen und bei mir kam die Trilogie so an wie bei dir, nach dem starken ersten Band fand ich den zweiten Band ebenfalls sehr zäh, der dritte Band war dann wieder etwas besser.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Das Bernstein-Teleskop


    His dark materials 3: The Amber Spyglass


    Im dritten Teil der Geschichte pendelt man zwischen verschiedenen Welten. Lyra und Will möchten eigentlich zu Lord Asriel, damit Will ihm mit dem magischen Messer beim Kampf gegen die Kirche zur Seite stehen kann. Aber die beiden haben vorher immer wieder dringende andere Angelegenheiten zu erledigen und Abenteuer zu bestehen.


    Auf dem Weg durch die verschiedenen Welten trifft man alte Bekannte und neue Gesichter. In diesem Teil wird die Geschichte noch etwas komplexer. Das Buch ist herrlich respektlos, was Kirche, Engel und das Ende des Allmächtigen betrifft. Die Entwicklung von Lyras Eltern, speziell die Kehrtwende der Mutter, ist zu drastisch, um glaubwürdig zu sein. Auch hier hätte Lyra ihr Alethiometer nutzbringender einsetzen können. Zum Schluss hin, als die Liebe der beiden Hauptfiguren – in meinen Augen eher eine belanglose erste Teenie-Knutscherei, die hormonell bedingt unausweichlich erscheint, – so weitreichende Folgen hat, dass sozusagen Universen gerettet werden, hat Pullman deutlich zu heftig mit der Kitschkeule zugeschlagen. Hier wäre weniger mehr gewesen.


    Es hat aber wieder Spaß gemacht, mit Lyra und Will unterwegs zu sein.


    4ratten

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    Aus dem Englischen von Wolfram Ströle und Reinhard Tiffert


    Meine Meinung
    Das war eine zähe Angelegenheit. Die Trilogie und ich sind leider auch im letzten Band keine Freunde mehr geworden und so bin ich jetzt einfach nur froh, dass ich dieses vielseits gerühmte Werk endlich beendet habe. Die Faszination bzw. Begeisterung dafür bleibt mir leider verborgen.


    Dabei kann ich mich dem Kritikpunkt, dass viele Handlungsstränge offen bleiben bzw. unlogisch geklärt werden, gar nicht so anschließen. Meiner Meinung nach wird alles geklärt, was geklärt werden muss. Warum manche Handlungen sich so auswirken, wie sie es tun, finde ich manchmal gar nicht so wichtig, zumal die Charaktere im Buch das auch nicht so genau wissen. Es ist einfach so, damit kann ich ganz gut leben.


    Allerdings fand ich, wie bereits in den zwei Bänden vorher, die vielen allzu simplen Lösungen für vorher als gravierend beschriebenen Probleme nicht gelungen. Vielleicht ist das für das Buch nicht so wichtig, aber wenn diverse Handlungsstränge, die als sehr bedrohlich dargestellt werden, sich plötzlich in Wohlgefallen auflösen, stört mich das einfach. So geschehen z.B.


    Am interessantesten fand ich tatsächlich den Handlungsstrang um Mary. Der ganze Aufbau der Kultur, in die sie Einblick erhält, war durchdacht und spannend zu lesen. Leider war dieser Handlungsstrang


    Insgesamt finde ich dieses Buch (wie eigentlich auch die ganze Trilogie) sehr unausgewogen. Es gibt hoch philosophische, komplexe Aspekte und dann wieder sehr kindlich gehaltene Handlungen ... das passt für mich nicht zusammen. Ich freue mich, dass dieses Werk so viele begeisterte Leser hat, aber für mich war es definitiv ein eher durchwachsenes Vergnügen.


    Für das Buch vergebe ich 2ratten.


    Für die ganze Trilogie 3ratten (aber auch nur, weil meine Aufzeichnungen das so sagen, vom Gefühl her würde sie schlechter abschneiden).

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Insgesamt finde ich dieses Buch (wie eigentlich auch die ganze Trilogie) sehr unausgewogen. Es gibt hoch philosophische, komplexe Aspekte und dann wieder sehr kindlich gehaltene Handlungen ... das passt für mich nicht zusammen. Ich freue mich, dass dieses Werk so viele begeisterte Leser hat, aber für mich war es definitiv ein eher durchwachsenes Vergnügen.


    Damit beschreibst du recht gut meine Gefühle bei der Trilogie. Schade, denn der Anfang war durchaus vielversprechend.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.