Hallo zusammen,
ich finde es schade. Ob „Lesen!“ nun qualitativ besonders hochwertig war oder eben nicht, will (und kann) ich gar nicht beurteilen. Ich habe die Sendung ab und zu ganz gern gesehen. Es gab Dinge, die mir gefielen und andere, die mich störten. Aber wenigstens war es ein Format, das die Literatur in den Fokus setzte. Unabhängig von dem, wie gut oder anspruchsvoll dies letztendlich gelang, freute mich allein die bloße Tatsache.
Ob Frau Heidenreichs Sendung nicht-Leser zu Lesern missioniert hat, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob das der Anspruch einer Unterhaltungssendung sein kann und sollte. Fakt ist aber, dass es anscheinend viele Menschen gab, die „Lesen!“ ganz gern gesehen haben. Ich vermute jetzt einfach mal, anhand einiger Reaktionen hier, dass das Publikum wahrscheinlich zu einem großen Teil nicht unter denen zu finden war, die dem Lesen sowieso schon so sehr verbunden sind, dass sie sich in Literaturforen austauschen und anregen. Es gibt also noch etwas zwischen dem Literaturverweigerer und dem Literaturjunkie, die Grauzone der Möglichkeiten, und ich nehme an, dass eine solche Sendung eben für genau diese Menschen besonders interessant war.
Jetzt will ich den ersten Satz des zweiten Absatzes auch fast schon wieder revidieren. Denn eigentlich glaube ich schon, dass (bisherige) nicht-(oder wenig-)Leser durch kleine, lockere und leichte Literatursendungen wie diese zum Lesen angeregt werden können. Irgendwie muss man ja zum Lesen finden. Nicht jede Literaturliebe wurde im Elternhaus, in der Schule oder im Bekanntenkreis erweckt und entdeckt. Manchmal geschieht es auf Umwegen, bei dem einen früher, bei dem anderen später. Vielleicht durch die Musik (wie bei mir), durch Zeitschriften – oder eben durch eine Fernsehsendung, in die man durch Zufall schaltet und bei der man interessiert hängen bleibt (vielleicht stellt der Lieblingsschauspieler gerade ein Buch vor oder was auch immer). Vielleicht kauft man sich dann tatsächlich das vorgestellte Buch und vielleicht hat man Glück, und es ist eben genau das richtige und dann wird mitunter die bisher schlummernde Literaturliebe erweckt und es beginnt ein nicht mehr aufzuhaltender Automatismus. Ein Buch zieht das nächste nach sich, das Feuer ist entfacht, die Faszination Buch gefunden. Genre, Thema, Autor, Stil, das Leseerlebnis an sich - irgendetwas gefiel und man will mehr davon.
Ja, denkbar ist das also doch. Meiner Meinung nach. Dass nur leidenschaftliche Leser sich unterhaltsame Literatursendungen ansehen, muss vielleicht auch gar nicht sein. Ich selbst sehe nicht viel fern. Müsste ich aber all das, was ich sehe, auch selbst tun, wäre ich zu beschäftigt für ein Leben.
Ich glaube übrigens auch, dass Frau Heidenreich auf den R-R-Zug aufgesprungen ist. Die Motivation ist mir dabei jedoch nicht ganz klar. Für mich hat es ein bisschen den Anschein, als dürfe sie bei dem Auftakt zu einem möglichen Kulturkrieg, dem Aufbäumen der Intellektuellen, nicht fehlen. Als müsse sie sich früh positionieren, um nicht den Einstieg zu verpassen. Die Zugehörigkeit will signalisiert werden - schließlich gehört nicht jeder zu diesem erlesenen, aussterbenden Zirkel der Kulturliebhaber.
Unabhängig von der Motivation waren Heidenreichs Äußerungen leidenschaftlich und müde, fast resigniert, zu gleich. Emotional auf jeden Fall. War sie sich der Konsequenzen bewusst, und davon gehe ich aus, finde ich die von ihr gewählte Form völlig legitim.
Das Gespräch zwischen Reich-Ranicki und Gottschalk hingegen fand ich furchtbar. Die Art, in welcher Gottschalk diesen Moment zur Selbstdarstellung nutze, war für mich kaum erträglich. Das ganze war schlicht überflüssig.
Na ja, wie auch immer - eine Literatursendung weniger, das finde ich schade (und „Lesen!“ mit Campino hätte ich auch sehr gerne gesehen :smile:).
Liebe Grüße
Tia