Ferdinand von Schirach - Verbrechen

Es gibt 39 Antworten in diesem Thema, welches 30.069 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von bella*.

  • Ich habe mir lange überlegt, ob dieses Buch unter "Krimis & Thriller" einzuordnen ist, denn es ist weder das eine noch das andere. Da man es aber auch nicht als Sachbuch bezeichnen kann und es unter "sonstige Belletristik" auch nicht wirklich passt, habe ich mich doch für dieses Genre entschieden - schließlich geht es in dem Buch um Verbrechen.


    Ferdinand von Schirach – Verbrechen


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    Inhaltsangabe: (Klappentext):


    „Ein angesehener, freundlicher Herr, Doktor der Medizin, erschlägt nach vierzig Ehejahren seine Frau mit einer Axt. Er zerlegt sie, bevor er schließlich die Polizei informiert. Sein Geständnis ist ebenso außergewöhnlich wie seine Strafe.
    Ein Mann raubt eine Bank aus, und so unglaublich es klingt: er hat gute Gründe. Gegen jede Wahrscheinlichkeit wird er von der Justiz an Leib und Seele gerettet.
    Eine junge Frau tötet ihren Bruder. Aus Liebe.
    Lauter unglaubliche Geschichten, doch sind sie wahr.“


    Das Buch beinhaltet insgesamt elf Erzählungen.


    Der Autor: (Klappentext):


    Ferdinand von Schirach, geboren 1964 in München, arbeitet seit 1994 als Anwalt und Strafverteidiger in Berlin. Zu seinen Mandanten gehörten das frühere Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, der ehemalige BND-Spion Norbert Juretzko, Industrielle, Prominente und Angehörige der Unterwelt.


    Meine Meinung zum Buch::


    :tipp::klatschen::klatschen::klatschen:


    Ich ging mit einigen Vorbehalten ans Lesen, denn ich erwartete ein paar selbst beweihräuchernde Geschichten im Sinne von „ein Promianwalt erzählt aus dem Nähkästchen“. Weit gefehlt! Ich habe elf phantastisch geschriebene Geschichten gelesen, von denen mich jede einzelne beeindruckt, berührt und nachdenklich gemacht hat.


    Jede der elf Geschichten thematisiert voneinander unabhängige Fälle, in denen Schirach tätig wurde. Ob die Geschichten tatsächlich wahr sind, kann ich natürlich nicht beurteilen, hier muss ich mich auf die Angaben des Autoren bzw. des Verlags verlassen. Auf jeden Fall sind sie glaubwürdig.


    Die Erzählungen sind sehr sachlich geschrieben. Der Autor bezieht keine Position, er stellt ein Verbrechen dar und schildert dann in knappen Worten, aber sehr präzise, wie es dazu kam. Das bedeutet für den Leser, dass er sich seine Meinung dazu selbst bilden muss. Man bekommt keine Entschuldigungen oder Anklagen geboten und muss für sich selbst entscheiden, was man evtl. als Entschuldigung gelten lässt und was nicht. Kalt lässt einen keine der Geschichten, jede berührt den Leser auf die eine oder andere Art. Einige Geschichten machten mich traurig (z. B. „Das Cello“) oder wütend (z. B. „Der Igel“ oder „Der Dorn“), bei manchen Geschichten war ich froh, dass sie für die „Täter“ einigermaßen gut ausgingen (z. B. „Fähner“ oder „Glück“) und bei manchen graut mir jetzt noch, wenn ich daran denke, was „da draußen“ alles herumläuft (z. B. „Tanatas Teeschale“, „Grün“ oder „Liebe“).


    Ganz nebenbei habe ich auch einige Dinge über unser Rechtssystem und die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen gelernt, die ich bisher nicht kannte. Dadurch wurden auch manche der dargestellten Entscheidungen verdeutlicht bzw. überhaupt erst verständlich. Und mein eigener, langweiliger Büroberuf erscheint mir plötzlich in einem viel freundlicheren Licht. :zwinker:


    Dieses Buch wird mich nicht so schnell loslassen – und ich habe die Geschichten sicher nicht zum letzten Mal gelesen.


    Hier kann ich nur die maximale Wertung geben: 5ratten


    Viele Grüße von Annabas :winken:

  • "Stories" - Geschichten, die das Leben schreibt

    Ferdinand von Schirach hat ein Buch mit elf Geschichten veröffentlicht, die er selbst erlebt hat - als Verteidiger in Strafprozessen. Gebunden an seine Schweigepflicht, wird er die Ereignisse verändert haben, um den Schutz der realen Personen zu wahren. Als Verteidiger ist er parteiisch und steht auf der Seite seines Mandanten. Als Erzähler ist er frei.
    Von Schirach hat mit seiner Auswahl für den Leser ein Kaleidoskop unterschiedlichster Straffälle ausgewählt. Wir lesen von einer Ehe mit tödlichem Ende, von dem Diebstahl einer wertvollen Teeschale, einem Kannibalen, Kriminalität im Drogen- und Prostituiertenmilieu und anderen Taten.
    Gemeinsamkeiten aller dargestellten Fälle sind ihre absolut unerwarteten Verläufe, die psychischen Veränderungen der handelnden Personen und eine unbeschreibliche Brutalität.
    Manche Fälle verlaufen "im Sande". So entlastet ein Mann seinen angeklagten kriminellen Mitbruder durch eine geschickte Zeugenaussage. Ein anderer Mann mit eindeutigem Hang zum Kannibalismus entzieht von Schirach sein Mandat.
    Während man die meisten Geschichten mit Distanz lesen kann, sind andere dabei, denen man sich gefühlsmäßig nicht entziehen kann. Das Leid ist manchmal so stark, dass man es selbst spüren kann.
    Wir erleben die nach außen hin intakte Ehe eines anerkannten Mediziners, der nach 48 Jahren physischer und psychischer Demütigung seinen Lebenszustand nicht mehr aushält und seine "geliebte" Ingrid umbringt. Da von Schirach gemächlich und präsise beschreibt, wie es zu der Tat kommen konnte, wird sie zu einer zwingenden, nicht mehr abwendbaren Konsequenz. Auch diese überzeugende Erzählweise ist allen beschriebenen Fällen zu eigen.
    Furchtbar zu lesen ist, wie zwei Kinder in einer mutterlosen Familie aufwachsen: Ein liebloser, strenger Vater verlangt von ihnen bedingungslose Disziplin und Verzicht. Obwohl Vermögen vorhanden ist, müssen die Kinder sich ihr Taschengeld erarbeiten, z. B. indem sie Löwenzahn ausstechen.
    An manchen Stellen klärt von Schirach den Leser sehr kurz, aber ausreichend informativ über das deutsche Rechtssystem, insbesondere den Prozessverlauf auf.
    Auch die immer wieder diskutierte Frage nach dem Sinn von "Strafe" spricht er an und erörtert das rechtsphilosophische Problem (vgl. S. 17).
    Das Buch liest sich sehr schnell. Von Schirachs Sprachstil ist klar; seine Sätze sind meist kurz und einfach.
    Sicher lesen wir tagtäglich von neuen kriminellen Geschehnissen, aber so stark, wie von Schirach seine Erzählungen aufbereitet hat, indem er uns ins Innerste der Handelnden schauen lässt, bleibt Nachdenkenswertes hängen. Sind wir parteiisch geworden? Stehen wir mehr auf der Seite des Kriminellen als auf der der Opfer?
    Bilden Sie sich selbst ein Urteil, indem Sie dieses Buch lesen.

  • Verbrechen


    Dieses Buch hat sich auf jedenfall gelohnt zu lesen.


    Ich interessiere mich sehr für Verhandlungen und den Hintergrund wie es eigtlich dazu kam und warum jemand so und nicht anderst gehandelt hat.


    Und was mich an dem Buch sehr positiv überrascht hat das es vielmehr um den Hintergrund ging als welche Strafe derjenige erhält.


    Ich war hin und weg von diesen wahren Geschichten wobei ich mich immer wieder gefragt habe wie hätte ich an Ferdinand von Schirach ´s Stelle gehandelt.


    Denn für mich war es keineswegs vorhersehbar wie die ganze Sache ausgeht.

  • Inhalt
    Ferdinand von Schirach ... erst Anwalt und jetzt Schriftsteller. In seinem Buch "Verbrechen" berichtet er in elf kurzen Kapiteln über elf reale Fälle. Ein Mann tötet nach vierzig Ehejahren seine Frau. Ein 19-jähriger Junge erscheint blutverschmiert vor einem Polizeipräsidium. Eine Frau ertränkt ihren behinderten Bruder in der Badewanne. Dies sind nur ein paar Beispiele aus der Verbrechenskartei ... und vorsicht: oft ist alles ganz anders als es auf den ersten Blick erscheint.


    Meine Meinung
    Teilweise habe ich mir wirklich an den Kopf gelangt und mir gedacht:" Das kann doch nicht echt sein!" Aber hier ist alles durch und durch real. Hier werden die Abgründe der Menschen aufgezeigt, die Geschichte hinter der Tat erzählt, "Scheinverbrechen" aufgeklärt ... und das alles in einem neutralen Ton, der weder nach Mitleid noch nach Verständnis oder sonstigen heischt. Trotzdem konnte ich einige Täter durchaus verstehen, auch wenn ich die Tat an sich meist nicht gutheißen kann.


    Die Verbrechen an sich variieren von Mal zu Mal, man kann sich auf Mord, Banküberfall, Notwehr und Diebstahl gefasst machen. Manche Fälle wurden nie aufgeklärt, manche Fälle waren letztendlich gar kein Verbrechen. Und eines ist klar: Verbrechen geschehen in jeder Gesellschaftsschicht, ganz egal ob Grafen oder Hinterhofdealer.


    Eines nehme ich auf jeden Fall mit:
    Die Krimis der heutigen Zeit sind wohl doch nicht so weit von der Realität entfernt wie ich immer dachte. Denn in diesem Buch lassen sich durchaus einige Beispiele finden, die auch gut in einen Thriller gepasst hätten. Dadurch, dass sie Realität sind, gewinnen sie jedoch noch einiges an Schrecken und lassen ein flaues Gefühl zurück.


    Insgesamt ein Buch,das einen fasziniert und ernüchtert zurücklässt ... nicht nur für Leute geeignet, die Tatsachenberichte mögen, sondern auch für Krimifans und Kurzgeschichtenliebhaber.


    4ratten

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Der Berliner Strafverteidiger Ferdinand Schirach schickt den Leser in seinem Buch "Verbrechen" auf die Suche nach dem Sinn einer Bestrafung.


    In Deutschland wurde das im Mittelalter vorherschende System eine Tat mit einer immer gleichen Strafe zu belegen abgeschaft - warum sich dies als absolut notwendig erweist zeigt der Autor anhand von elf Fällen.


    Da wäre zum Einen ein angesehenen und Arzt aus Süddeutschland, der über Jahre hinweg von seiner Frau gedemütigt und beschimpft wird. Aufgrund eines für ihn bindenden Versprechens lässt er sich nicht scheiden, sondern staut die Aggressionen ihr gegenüber in sich auf. Bis es eines Tages zur Expolsion kommt...


    Desweiteren beschreibt der Autor die Geschichte eines gescheiteren Mannes, der nach mehreren Rückschlägen in Äthopien Fuß gefasst hat. Aufgrund eines Haftbefehls wird er jedoch zurück nach Deutschland geschickt und ist dort gezwungen ein weiteres Verbrechen zu begehen...


    Zum anderen wird der Fall eines Geschwisterpaares geschildert. Beide sind eng miteinander verbunden und als einer der beiden nach einem Unfall behindert ist greift der andere zum scheinbar letzten Mittel: der Erlösung.


    Dies sollen nur einige Beispiele aus der Verbrecherkartei sein. Klar ist, bei jeder der aufgezeigten Taten kann man sich in die Geschichte des Verbrechens einfühlen. Man erfährt die Hintergründe und bekommt somit einen ganz anderen Bezug zum Täter, als wenn man, zum Beispiel aus den Medien, lediglich Sätze wie "Verrückter Mann zerstückelt seine Frau" oder "Junges Mädchen verschwindet spurlos. Zur gleichen Zeit taucht ein junger Mann mit einem blutverschmierten Messer auf der Polizeiwache auf" hört. Dabei fällt es einem viel leichter den Täter zu verurteilen.


    Mit unerschrockener Sachlichkeit zeigt Schirach mit welchen Problemen sich Gerichte beschäftigen müssen. Dabei steht immer wieder die Frage nach dem Sinn der Strafe im Mittelpunkt. Natürlich soll sie andere Täter abschrecken und die Bevölkerung dadurch schützen, andererseits dürfen die Beweggründe eines Täters für eine Tat nicht außer Acht gelassen werden. Eine Gradwanderung, die nicht immer alle an einem Verfahren beteiligten Partein zufrieden stellen kann.


    Mein Fazit: :tipp:


    Ein absolut lesenswertes Buch! Ich war total gefesselt und nicht selten schockiert. Es ist erschreckend, wie nahe manche fiktiven Krimis an der Realität liegen.
    5ratten

  • Hmm - klingt sehr gut - wieder was für die Liste - ich lese jetzt keine Rezis mehr :rollen:

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane


  • Hmm - klingt sehr gut - wieder was für die Liste - ich lese jetzt keine Rezis mehr :rollen:


    Wenn du magst, kann ichs dir ausleihen ... dann musst dus nicht kaufen! :smile:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Ja - da können wir mal darüber reden - danke Mondy :winken:

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Ferdinand von Schirach ist Rechtsanwalt in Berlin und beschreibt in seinem Buch außergewöhnliche Fälle. Er berichtet von Mandanten, die zwar Straftaten begangen haben, deren Schuld aber aus moralischer und oftmals auch aus rechtlicher Sicht dennoch nicht eindeutig ist.


    In elf Geschichten werden dem Leser Fälle vorgelegt, die erschütternd sind, Mitleid erregen und zum Teil sogar ein gewisses Verständnis hervorrufen. Das mag beispielsweise hinsichtlich des Mordes eines Ehemannes an seiner Frau zunächst unglaublich erscheinen, in Anbetracht der Umstände und des jahrzehntelangen Martyriums des Mannes und seinem Glauben an die Macht von Versprechen erscheint es jedoch gar nicht mehr so abwegig.


    Dabei – und das möchte ich ausdrücklich betonen – beschönigt dieses Buch in keiner Weise Straftaten. Es zeigt lediglich, wie entscheidend die Umstände für die Beurteilung eines Verbrechens sind und welchen Einfluss beispielsweise die moralischen Werte des Täters haben.


    Ferdinand von Schirach gelingt es durch seine sachlichen und objektiven Darlegungen der Fälle, den Leser für Kleinigkeiten zu sensibilisieren und so bis zu einem gewissen Punkt Verständnis für die Taten hervorzurufen. Die Einzelschicksale sind bewegend und die vorgestellten Fäll unterscheiden sich grundlegend voneinander.


    Gerade weil zu befürchten war, dass der Autor Wertungen einfließen lässt und den Leser in seiner Meinungsbildung zu lenken versucht, hat mich das Buch positiv überrascht und überzeugt. Die Botschaft kommt ganz ohne Beeinflussung an und das Lesen ist trotz des harten und oft auch sehr traurigen Inhalts ein Vergnügen – der Blick hinter die Kulissen wird nicht oft gewährt, Ferdinand von Schirach gelingt dies jedoch außerordentlich gut. Mein Interesse hat er auf der ersten Seite geweckt und bis zur letzten Seite nicht verloren. Gern hätte ich noch von weiteren Fällen gelesen, denn die Bedeutung der persönlichen Umstände der Täter hat mich sehr fasziniert und interessiert.


    Meine Wertung: 5ratten + :tipp:



    Eine Frage habe ich noch. Kann mir irgendwer, der des Französischen mächtig ist, den Satz auf der letzten Seite übersetzen?
    "Ceci n'est pas une pomme."
    Ist das ein Sprichwort, eine Widmung, ein Zitat? Mich würde es sehr interessieren. Vielleicht kann mir ja jemand helfen. Ich musste hier einmal mehr feststellen, wie weit man mit Latein doch im Leben kommt. :grmpf:

    :leserin: Plichota/ Wolf: Oksa Pollock - Die Unverhoffte<br /><br />SLW - Annabas: 1/10<br />SLW - Seychella: 0/10

    Einmal editiert, zuletzt von Stephi ()

  • Eine Frage habe ich noch. Kann mir irgendwer, der des Französischen mächtig ist, den Satz auf der letzten Seite übersetzen?
    "Ceci n'est pas une pomme."


    Hm, spontan würde ich sagen: "Dies ist kein Apfel."


    Also nach diesen Rezis hier steht das Buch aber ratz-fatz auf meinem Wunschzettel. Ich fand die Leseprobe schon so genial.

    "Verzicht bedeutet für Frauen die kurze Pause zwischen zwei Wünschen."

    ~ Mario Adorf

  • Hm, spontan würde ich sagen: "Dies ist kein Apfel."


    Also nach diesen Rezis hier steht das Buch aber ratz-fatz auf meinem Wunschzettel. Ich fand die Leseprobe schon so genial.


    Jetzt habt ihr mich durcheinandergebracht, in meiner Erinnerung habe ich "Ceci n'est pas un homme" - leider bin ich gerade im Büro und kann im Buch nicht nachschlagen. (homme = Mensch)


    Aber wie es auch immer heißt, es ist ein Bezug auf das Bild von Rene Magritte "La trahison des images" („Der Verrat der Bilder“). Ich finde das sehr passend.
    http://de.wikipedia.org/wiki/La_trahison_des_images


    Grüße von Annabas :winken:


    Edit: hier ein Zitat aus Wikipedia:
    Zu „La trahison des images“ gibt es zahlreiche Interpretationsversuche, der bekannteste aus dem Jahr 1973 von Michel Foucault unter dem Titel „ceci n'est pas une pipe“, worin er auch zwei Briefe Magrittes dokumentiert; neben der offensichtlichen Deutung, dass ein Abbild nicht identisch mit dem Original-Gegenstand ist, weist Foucault darauf hin, dass Magritte durch das Aufzeigen eines scheinbaren Paradoxons den Beobachter zur Reflexion darüber zwingt, was man eigentlich überhaupt unter der Realität eines Dings zu verstehen hat.

    Einmal editiert, zuletzt von Annabas ()

  • Jetzt habt ihr mich durcheinandergebracht, in meiner Erinnerung habe ich "Ceci n'est pas un homme" - leider bin ich gerade im Büro und kann im Buch nicht nachschlagen. (homme = Mensch)


    Also bei mir steht definitiv "pomme". Ein paar wenige Worte französisch bekomme ich glücklicherweise auch hin, so dass ich doch einigermaßen verwirrt war/bin, was so ein Schlusssatz mit "Apfel" mir wohl sagen will. Da fällt mir nur der Fähner aus der ersten Geschichte ein. :gruebel:


    @ Annabas
    Vielen Dank für den Link und die Erklärung. Ich werde mir das gleich mal genauer ansehen. :winken:

    :leserin: Plichota/ Wolf: Oksa Pollock - Die Unverhoffte<br /><br />SLW - Annabas: 1/10<br />SLW - Seychella: 0/10

  • Das menschliche Miteinander ist strukturiert durch moralisches Verhalten und dem Gesetz. Ferdinand von Schirach beschäftigt sich in seinen elf Geschichten mit Menschen, die aus dem Rahmen fallen. Einige seiner Mandanten begingen noch nie eine Straftat, andere verstoßen ständig gegen Regeln. Einige Handelsweisen der Protagonisten kann der Leser nachvollziehen, andere bleiben für ihn unakzeptierbar. Eines haben alle Figuren gemeinsam. Jeder einzelne seiner Mandanten hat gegen das Gesetz verstoßen und ist auf die Hilfe eines Verteidigers angewiesen.


    Der Leser erfährt nicht nur von der Straftat, sondern auch die Hintergrundgeschichte und die Beweggründe der Angeklagten. Beim Leser verschiebt sich dabei die Sichtweise auf Schuld und Strafe. Ein Mann ist nicht länger der schuldige Mörder, sondern ein jahrelange unterdrückter Ehemann, der tagtäglich von seiner Frau tyrannisiert wird. Das bestohlene Opfer wird selbst zum Mörder. Eine Brudermörderin ist lediglich eine liebende Schwester, die ihren Bruder erlösen will. Der jüngste, dummgeglaubte Sohn ist hochintelligent und rettet damit seinen Bruder. Ein bedrohter Mann tötet seine Angreifer aus Notwehr. Jeder Schuldige hat seine Gründe zu Handeln. Die einzelnen Mandanten haben für sich richtig gehandelt. Das zu verstehen ist eines der Schwierigkeiten die das Buch mit sich bringt. Der Leser beginnt über die Menschen nachzudenken. Warum sind sie so geworden? Was für eine Lebensgeschichte lässt sie gegen das Gesetz verstoßen? Denn die Vergangenheit spielt bei jedem eine Rolle. Vorschnelles urteilen ist hier nicht immer angebracht.


    Mich hat jede einzelne Geschichte bewegt und erschreckt. Ich habe sowohl mit den Opfern als auch mit den Tätern gefühlt. Die einzelnen Stories sind in einem passenden Stil geschrieben. Nicht zu ausgeschmückt, dass man die Wahrheit der Geschichte anzweifelt. Der Berichtcharakter der Rechtssprache bleibt, ist aber in eine Allgemeinsprache gehalten, die jeder versteht. Die Texte bekommen durch diese romanartige Realitätsbeschreibung ihre eigene Klangfarbe.
    Elf Stories die uns über unsere Mitmenschen nachdenken lassen. Denn Schuld ist nicht gleich Schuld.

  • Auch ich habe zunächst überlegt, in welche Kategorie dieses Buch denn gehören würde. Auch wenn die Entscheidung mir schon andere abgenommen haben und ich hier nur meinen Beitrag anhängen muss, hätte ich wohl auch den Krimi-Thread gewählt, auch wenn es sich nicht um klassische Krimis handelt.


    Ich bin kein Krimilieser, mochte aber schon immer gern Fernsehsendungen über reale Verbrechen (Aktenzeichen XY, Die berühmtesten Kriminalfälle) sowie Gerichtsreportagen (sehr erhellend und spannend zu lesen im "Spiegel"). Schirach ist selber Anwalt und der Klappentext behauptet nun, hier seien reale Fälle verarbeitet worden. Daran darf man seine Zweifel haben. Zum einen trägt das Buch den Untertitel "Stories", was den fiktiven Charakter andeutet. Gewichtiger dürfte aber die Schweigepflicht des Strafverteidigers wiegen. Selbst wenn einige Gegebenheiten verändert wurden, sind die dargestellten Kriminalfälle so herausragend und selten, dass eine Identifizierung realer Personen leicht möglich wäre. Schirach gelingt es jedoch trotz mancher Unwahrscheinlichkeit, die Fälle so zu beschreiben als seien sie real passiert. Das ist meisterlich gemacht.


    Jeder der 11 Fälle ist spannend zu lesen, ohne dass man das Gefühl hat, der Autor arbeitet sich an verschiedenen "Mustern" ab. Der Stil ist nüchtern und sachlich, das Innenleben der Verbrecher wird nur so weit dargestellt, wie man es in Anwaltsgesprächen erfahren könnte. Ob man der Antwort auf die Frage, wie man zum Verbrecher wird, mit diesen Geschichten näher kommt, weiß ich nicht, die dunklen Facetten eines Menschen werden aber auf unterschiedliche Weise ausgeleuchtet.


    Dieses Buch eignet sich durch seinen Kurzgeschichtencharakter natürlich hervorragend als Hörbuch, der Verlag hat (so habe ich es in einer Rezension gelesen) leider nur eine gekürzte Version herausgegeben.


    Da ich mich bestens unterhalten fühlte, greife ich zur Höchstpunktzahl


    5ratten


    Gruß,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Ich habe ihn letzten Sonntag in einem Gespräch bei einer Gesprächsrunde bei Plasberg gesehen und so wie er es sagte sind das wohl alles reale Fälle.

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

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    Ferdinand von Schirach, Verbrechen
    (Piper Verlag, August 2009)
    ISBN 978-3-492-05362-4
    205 Seiten; € 16.95 (HC)



    Nach zahlreichen guten bis hymnischen Rezensionen zu diesem Buch - unter anderm auch hier - hatte ich doch Interesse es zu lesen.
    Zugegebenermaßen fand ich die Neuerscheinung vor einigen Monaten eher etwas fragwürdig: da muss der Staranwalt, der auf mich leicht exzentrisch wirkt(e) und den ein oder anderen ominösen Beschuldigten vertreten hat, auch noch ein Buch schreiben... Aber nun gut, es ist irgendwie auch ganz schön doof, sich ein Buch zu verkneifen nur weil man meint, der Autor hätte es weder nötig noch könnte er sonderlich gut schreiben, sondern leide wohl eher an einem besonders ausgeprägten Fall der Selbstdarstellung.
    Nun bin ich aber doch noch zu diesem Buch gekommen - und es freut mich richtig!


    Ferdinand von Schirach schreibt nüchtern, zusammenfassend in relativ kurzen Sätzen, von allen möglichen Leuten, die aus unterschiedlichsten Gründen straffällig geworden sind. Es sind Bestandsaufnahmen der jeweiligen Personen, Beschreibungen ihres 'Werdegangs', in denen teilweise schon erste Anzeichen für ihre späteren Taten deutlich werden. Der Stil, in dem die Verbrechen selbst geschildert sind, ist sehr sachlich und hinterlies mich nur in einem Punkt ratlos: ob diese Fälle tatsächlich so geschehen sind. Ferdinand von Schirach deutet dies ja an, indem er auch immer wieder sich und seine Verbindung zu den Tätern ins Spiel bringt.
    Auch wenn von Schirach nicht der literarischste Schriftsteller dieser Tage ist, so finde ich eines bemerkenswert: seine Geschichten bleiben hängen, machen nachdenklich. So habe ich mehr als einmal die auslösenden Emotionen der späteren Täter nachvollziehen können, wenn auch nicht die teilweise wirklich eruptionsartig ausbrechende Gewalt, die ihnen folgt.


    [size=3]Fazit:[/size] Mir hat das Buch gut gefallen und ich bin sehr froh, dass ich mich nicht von den Vorurteilen zu Beginn von der Lektüre habe abhalten lassen. Die Stories unterhalten auf einer sehr sachlichen Ebene gut und machen mehr als einmal nachdenklich. Einziges Minuspünktchen ist, dass von Schirach sich doch immer wieder gerne selbst ins Spiel bringt, seine Rolle als Verteidiger darstellt. Wenn ihn dies aber noch einen Schritt weiterführt und ihn ein, zwei Gedanken zu unserem Rechtsystem ausführen lässt, dann wirkt er brillant.


    4ratten


    [size=1]An dieser Stelle muss ich mal gestehen, dass ich wiederholt hier den Vornamen des Großvaters von Ferndinand von Schirach löschen musste, weil mich dieser seltene Name leider immer wieder dazu verleitet... Selbst beim Erzählen von diesem Buch rutscht er mir immer wieder -unbewusst- raus. Peinlich, echt.[/size]

    Liebe Grüße

    Tabea


  • [size=1]An dieser Stelle muss ich mal gestehen, dass ich wiederholt hier den Vornamen des Großvaters von Ferndinand von Schirach löschen musste, weil mich dieser seltene Name leider immer wieder dazu verleitet... [/size]


    Ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, aber mir geht's genauso. Muss eine ganz schöne Hypothek sein, mit diesem Nachnamen rumzulaufen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, aber mir geht's genauso. Muss eine ganz schöne Hypothek sein, mit diesem Nachnamen rumzulaufen.


    Naja, wäre ich mit diesem Nachnamen geboren worden, würde ich mir ernsthaft Gedanken machen, mir einen anderen zuzulegen.

    Liebe Grüße

    Tabea