Félix J. Palma – Die Landkarte der Zeit

Es gibt 66 Antworten in diesem Thema, welches 13.639 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Dabei liegt es keinesfalls am Buch. Nach meinen anfänglichen Schwierigkeiten mit dem zweiten Teil, habe ich mich auch hier gut eingelesen und fühle mich damit wohl. Und natürlich gibt es auch hier wieder ein paar Perlen:


    H.G. Wells bekam von Gilliam Murray ein Manuskript in die Hand gedrückt mit der Bitte um Kritik - und das sind seine Gedanken dazu:


    Seite 449:


    Außerdem war sein Schreibstil ebenso kindisch wie großsprecherisch, die Charaktere blieben blass, und die Dialoge waren weder spritzig noch witzig. So einen Roman schrieb jemand, der glaubte, Schriftsteller könne jeder werden. Nicht dass er einfach nur Wörter zu Sätzen aufhäufte und jeden Sinn für Ästhetik vermissen ließ; das hätte die Lektüre zwar fade gemacht, aber man hätte sie verdauen können. Gilliam jedoch gehörte zu diesen unersättlichen Lesern, die glaubten, gutes Schreiben sei so etwas, wie eine Hochzeitskutsche zu schmücken. Das Ergebnis war ein aufgeblasener Ton voll blumiger Wendungen, grotesker Bilder und lächerlicher Wortspiele, die einem in der Kehle steckenblieben. Als Wells auf der letzten Seite angekommen war, empfand er ästhetischen Brechreiz. Dieser Roman hatte nichts anderes als das Kaminfeuer verdient. Sollten Zeitreisen einmal an der Tagesordnung sein, wäres es Pflicht, in die Vergangenheit zu reisen und diesem Möchtegernschreiber sämtliche Finger zu brechen, bevor er die Literatur mit einem solchen Machwerk verunglimpfen konnte.


    Herrlich. Einfach herrlich, oder? :elch:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Hallo!


    Gestern habe ich auch endlich angefangen, "Die Landkarte der Zeit" zu lesen. Irgendwie hatte ich es im Gefühl, dass es mir sehr gut gefallen könnte und jetzt kann ich es bestätigen: ich liebe dieses Buch. :breitgrins: In noch nicht einmal 2 Tagen habe ich schon fast 200 Seiten gelesen, ich weiß nicht, wann mir das das letzte Mal passiert ist. Palmas Stil ist etwas ausschweifend - es gibt einige Bandwurmsätze mit vielen Nebensätzen - aber zugleich flüssig zu lesen, so dass die Seiten nur so dahinfliegen. Manchmal muss ich mich etwas bremsen und lese den ein oder anderen Satz noch mal, um die Sprache richtig genießen zu können. Ein bisschen erinnert mich das ganze an "Das karmesinrote Blütenblatt" von Michel Faber (welches ich ebenfalls geliebt habe), vor allem wegen der Einschübe des Erzählers.


    Die Handlung ist bisher noch nicht spektakulär, aber das macht mir (momentan zumindest) nichts aus, solange die Atmosphäre des viktorianischen Londons so gut eingefangen ist.
    Zwischendurch muss ich wegen des schrägen Humors immer mal wieder laut auflachen - nimue hat da ja ein paar gute Beispiele geliefert. :zwinker:


    Ich freue mich schon richtig aufs Weiterlesen. :leserin:

  • Oh, Cuddles, wie toll! :klatschen: Ich bin ja leider immer noch nicht fertig, was nach wie vor nicht am Buch liegt (kleine Leseblockade)

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • @Nimue
    Wie weit bist du denn bisher gekommen? Ich hoffe, dass sich deine Leseblockade bald verflüchtigt! :knuddel:



    Edit: Spoiler gesetzt, weil das doch recht viel verrät :winken: LG nimue

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()

  • Huhu Cuddles,


    ich bin auf Seite 490 - also kurz vor Ende des 2. Teils und würde sehr gerne weiterlesen, aber momentan stecke ich ja auch in einer Autoren-Leserunde und die nächste naht schon (mit den Wunschrezensionen hinke ich auch schon heillos hinterher :traurig:).


    Deinen Kommentar habe ich noch in einen Spoiler gesetzt, weil er ja schon relativ viel verrät, was man so vom Klappentext her nicht weiß :winken:


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Seit ein paar Tagen bin ich nun mit dem Buch und nach wie begeistert. Der letzte Teil hat es noch mal in sich, Zeitreisen-Fans wie ich kommen hier voll auf ihre Kosten. Bei den vielen Theorien, Sprüngen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (genaueres kann ich nicht schreiben, ohne zu viel zu verraten) kann man wunderbar sein Gehirn verknoten.


    Herrlich fand ich auch, dass der Autor sich selbst nicht zu ernst nimmt. So mokiert er sich z.B. in Gestalt von Wells über die verschwurbelten und gleichzeitig nichtssagenden Sätze eines Henry James (der ebenfalls einen kleinen Auftritt im Buch hat), was ihn jedoch nicht davon abhält, selbst einen seitenlangen (!) Satz gegen Ende des Buches zu fabrizieren. :breitgrins:


    Das Ende passt zum Buch und lässt mich zufrieden mit einem Lächeln zurück.


    Fazit: Ein phantasiereiches Buch mit einer wundervollen Sprache. Mein erstes Highlight in diesem Jahr! :tipp:


    5ratten

  • Über den Inhalt von „Die Landkarte der Zeit“ möchte ich mich nicht auslassen, da ich das Gefühl habe, dadurch zu viel zu verraten. Ich hatte, als ich zu lesen begann, nur eine vage Ahnung vom Inhalt: es sollte um unter anderem um Zeitreisen gehen, einem Lieblingsthema von mir. Der Umgang des Autors mit dem Thema Zeitreise, bzw. dem was tatsächlich möglich oder nicht möglich ist, wechselt im Verlauf der Geschichte und so wurde ich von diversen Wendungen überrascht, was mir sehr gut gefallen hat.


    Auch wenn ich vom ersten Eindruck her zunächst überlegt hatte, in welches Genre man das Buch am besten einsortieren könnte, gefällt mir die Kennzeichnung als historischer Roman letztendlich schon am besten. Dem Autor gelingt es, das London des ausgehenden 19. Jahrhunderts lebendig werden zu lassen und vor allem seine Darstellung der Gedanken die sich die damalige Bevölkerung über die Zukunft machte, gefiel mir sehr gut. Ansonsten ist das Buch aber eher von einer gewissen Distanziertheit geprägt. So richtig nahe kommt man dann auch keiner der drei Hauptfiguren, Claire, Shakleton und Wells, auch wenn sie durchaus, trotz oder gerade wegen kleiner Schwächen, sympathisch sind. Man hat jedoch immer eher das Gefühl Zuschauer zu sein, als mitten im Geschehen zu stecken. Dadurch ist das Mitfühlen zwar etwas eingeschränkt, die Geschichte selber bleibt aber trotzdem durchgängig interessant.


    Der Autor wendet sich zwischendurch immer mal wieder an den Leser, hauptsächlich um seinen eigenen Stil, einen Perspektivwechsel oder ähnlich zu erläutern oder zu kommentieren. Wer so etwas nicht mag, für den ist das Buch leider nichts, auch wenn ich persönlich nur sagen kann, dass es schade ist, diese Geschichte zu verpassen. Idee und Stil haben mir gut gefallen, nur an der Figurenzeichnung hat es etwas gehapert, so dass ich zukünftigen Romanen des Autors bzw. den Übersetzungen seiner älteren Bücher mit Interesse entgegenblicke.


    4ratten

  • Ihr macht einen ja ganz heiß auf das Buch... Und die Zitate klingen genial, mal wieder ein etwas anderer Stil, der mir aber ganz gut gefällt.
    Was für ein Glück, dass meine Mutter das Buch im Regal stehen hat. Jetzt muss ich nur noch klären, ob sie schon durch ist und es vermissen würde...

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.

  • Eine große Rolle für H. G. Wells


    Das Buch spielt Ende des 19. Jahrhunderts in London. Es besteht aus drei Teilen – drei schicksalshaften Geschichten. Im ersten Teil trauert der Adlige Andrew um seine Geliebte, eine Prostituierte, die von Jack the Ripper ermordet wurde. Mit Hilfe der Agentur Zeitreisen Murray reist er in die Vergangenheit, um Marie zu retten. In der zweiten Geschichte geht es um die junge Claire, die sich in der viktorianischen Epoche nicht wohlfühlt und deshalb lieber im Jahr 2000 leben möchte. Dort verliebt sie sich in den feschen Hauptmann Shackleton. Im letzten Teil schließlich werden drei Morde verübt, und zwar mit Waffen, die 1896 noch nicht erfunden waren. Inspektor Garrett hat einen Verdacht…


    Wie ein roter Faden zieht sich H. G. Wells, der Autor des 1895 erschienenen Romans Die Zeitmaschine, durch alle drei Teile. Dabei wird die Rolle, die er spielt, immer größer. Die Landkarte der Zeit, die dem Buch den Titel gab, nimmt leider einen relativ kleinen Raum ein.


    Ich habe lange überlegt, wie ich das Buch bewerten soll, da meine Gefühle wirklich zwiespältig sind. In mancher Hinsicht fand ich es genial, in anderer einfach nur naja.


    Die Handlung wird von einem allwissenden Erzähler geschildert. Dabei wird der Leser auch immer wieder direkt angesprochen. Bei mir hat das leider eine Distanz zur Geschichte bewirkt, ich konnte nicht richtig eintauchen, da der Erzähler zwischen den Protagonisten und mir stand. Außerdem ist die Handlung über weite Teile relativ banal und vorhersehbar. Überraschend und interessant sind lediglich die letzten ca. 150 Seiten. Das heißt, ich habe mich erst durch gut 550 Seiten langatmige Langeweile kämpfen müssen. Der Schreibstil ist schon etwas Besonderes, sehr gehoben, zuweilen sogar fast poetisch. Ellenlange Bandwurmsätze erleichtern das Lesen nicht gerade, äußerste Konzentration ist gefragt.


    Was mich aber wirklich begeistert hat, ist die meisterhafte Art, mit der Félix J. Palma die Fäden von Anfang bis Ende zu einem großen Ganzen verknüpft. Da passt alles zusammen, baut logisch aufeinander auf. Es gibt keine Ungereimtheiten, alles löst sich auf. Leider erkennt man das erst ganz am Schluss, wenn man das Buch nicht schon vorher entnervt abgebrochen hat.


    3ratten

  • Meine Freundin hat sich das Buch auf Weihnachten gewünscht, und nachdem ich mich durch eure Beiträge gelesen habe, steht fest, das sie es bekommt. Ihr habt mich total neugierig darauf gemacht! :klatschen:

    Liebe Grüsse Hanni 8)

  • Ich liebe dieses Buch, hatte es mir vor zwei Monaten in der Bibliothek ausgeliehen und nachdem ich angefangen hatte, konnte ich es kaum noch aus der Hand legen, so sehr hat mich die Geschichte in ihren Bann gezogen!


    Zum Geburtstag letzte Woche habe ich es dann endlich geschenkt bekommen, so ein geniales Werk muss einfach in meiner eigenen Bibliothek vorhanden sein :)

    „Aber ich möchte nicht unter Verrückte kommen,“ meinte Alice.<br />„Oh, das kannst du wohl kaum verhindern“, sagte die Grinsekatze: „Wir sind hier nämlich alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.“<br />„Woher willst du wissen, dass ich verrückt bin?“, erkundigte sich Alice.<br />„Wenn du es nicht wärest“, stellte die Grinsekatze fest, „dann wärest du nicht hier.“<br />aus Alice im Wunderland, Kapitel 6

  • Inzwischen habe ich das Buch mal angelesen aber festgestellt das dann doch nicht so mein Fall ist. Meinen Geschmack konnte der Autor jedenfalls nicht treffen. Schade, inhaltlich hatte es mich sehr angesprochen. Es kann also druchaus sein das ich es einfach nochmal versuche. Gerade letztes Jahr hab ich mehrmals die Erfahrung gemacht das ein zweiter Anlauf zur rechten Zeit beim Lesen große Überraschungen bringen kann.