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Colm Tóibín, Brooklyn
(Hanser Verlag, September 2010)
ISBN 978-3-446-23566-3
302 Seiten; € 21.90 (HC)
Originaltitel: Brooklyn
Eilis Lacey lebt mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Rose in Enniscorthy, Irland. Ihre drei Brüder sind allesamt nach England gezogen, da sie dort Arbeit gefunden haben, und ihr Vater ist bereits vor einigen Jahren verstorben. Eilis selbst findet in ihrer Heimatstadt keine Arbeit und so muss die ältere Schwester für Eilis und ihre Mutter aufkommen.
Als ein Priester aus den USA auf Heimatbesuch kommt, geht alles recht schnell: Rose und die Mutter beschließen, dass Eilis nach New York soll um dort eine Arbeit zu finden. Die junge Eilis, die bis dahin kaum aus Enniscorthy herausgekommen ist, fügt sich diesem Wunsch und reist - nachdem alle nötigen Unterlagen beisammen sind und die Brüder die Überfahrt bezahlt haben - nach Amerika.
Erst nachdem die ersten Eindrücke der schlimmen Überfahrt, der neuen Unterkunft und der Arbeitsstelle in einem Kaufhaus halbwegs verdaut sind, bemerkt Eilis, dass sie fast völlig auf sich allein gestellt ist und wie sehr sie ihre Heimat, ihre Freunde und ihre Familie vermisst... Die detailreichen Briefe nachhause mildern nur anfänglich das immer stärker werdende Heimweh. Doch Father Flood, der Priester, der Eilis' Einreise in die USA überhaupt arrangiert hat, kümmert sich um sie: Eilis schreibt sich für Buchhaltungs-Abendkurse am Brooklyn College ein, lernt fleißig und geht sogar auf die irischen Tanzabende, die der Priester wöchentlich organisiert. Ganz allmählich wird Eilis abgelenkt und findet sich in der neuen Welt, die in den 1950er Jahren in Brooklyn allerdings auch recht irisch ist, zurecht. Und es geht sogar noch weiter: sie schließt Freundschaft, bedient die ersten schwarzen Kundinnen im Kaufhaus und hat sogar einen Verehrer - allerdings mit verpöhnter italienischer Herkunft...
Eilis Lacey wird langsam aber sicher erwachsen, ernsthafter und vor allen Dingen selbstbewußter - alles, ohne je darüber nachzudenken. Doch dann erreicht sie eine schreckliche Nachricht aus ihrer Heimat und sie muss sich bald schon entscheiden, wo sie denn nun hingehören möchte.
Colm Tóibín hat einen beachtlichen Schreibstil: ganz ruhig, irgendwie gewissenhaft, schildert er seine Figuren, gibt ihnen ohne große Worte Tiefe und Glaubhaftigkeit. Eilis Lacey ist eine ganz normale junge Frau in den 1950ern, die ihr Schicksal beinahe ungewollt in die Hand nimmt: sie findet ihren Weg fast alleine, wird immer selbstbewußter und bleibt trotzdem ganz sie selbst. Diese Art Tóibíns, von Menschen zu erzählen, die ansonsten im Strom nicht sonderlich auffallen, hat mir sehr gut gefallen. Eine Geschichte, die nicht komplett ungewöhnlich ist, die nicht mit überraschenden Kehrtwendungen besticht, sondern eine Geschichte, wie sie das Leben geschrieben hat und die gerade deshalb für mich sehr interessant und zum Ende hin sogar spannend war. Colm Tóibín erzählt großartig - ohne jeglichen Kitsch, ohne überzogenes HappyEnd, und trotzdem war ich nach der Lektüre glücklich, weil sie rund und ehrlich, mit viel Gefühl für die einzelnen Figuren und aus einem früheren Leben gegriffen ist. Und mir gefällt seitdem einfach die Vorstellung sehr gut, dass es noch solche Geschichten gibt und dass es lohnenswert ist, sie zu erzählen und sie zu lesen.