Tom Finnek – Unter der Asche

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    Inhalt: In London tobt 1666 mehrere Tage lang ein großer Brand, ein offensichtlich geistesgestörter Franzose wird als Brandstifter gehängt. Der Junge Geoffrey Ingram hat die Hinrichtung beobachtet und berichtet anschließend dem geheimnisvollen Master Gerard, der die Armenklasse von St. Olave in Southwark und damit auch Geoff unterrichtet hat. Master Gerard drückt Geoff daraufhin Papier und Feder in die Hand mit dem Auftrag, das aufzuschreiben, was wirklich geschehen ist. Geoff beginnt seine Geschichte im Jahr zuvor, als der Vater an der Pest stirbt. Die Mutter hat die Familie nach Geoffs Geburt verlassen, der älteste Bruder Edward ist vor Jahren verschwunden, nachdem er den Vater fast totgeschlagen hat. So ist nur noch seine Schwester Jezebel übrig geblieben und diese verschwindet am Todestag des Vaters auch. Möglicherweise bestehen hier Verbindungen zu Jez' Verehrer Jamie Hollar, denn dessen Vater hat sie doch aufgesucht? Außerdem muß Geoff bald feststellen, daß sein Bruder gar nicht so weit verschwunden ist, wie er gedacht hat, denn dieser betreibt in Lambeth Marsh angeschlossen an das Maiden Inn von „Mutter Southwood“ ein Theater, bei dem der Zugang wegen der Freizügigkeit des Inhalts nur ausgewählten Gästen gestattet ist, die meist aus den besseren Viertel der anderen Themseseite kommen. So erfährt Geoff auch bald, daß Jezebel irgendwo in Surrey auf dem Land sein muß. Aber wie das alles mit den Hollars zusammenhängt, welche Rolle Master Gerard in diesem ganzen Zusammenhang spielt, wie die Vergangenheit sich (wieder) in das Leben all dieser Menschen schleicht und ob und wenn ja was das schließlich alles mit dem großen Brand zu tun hat, das enthüllt sich nur Stück für Stück ...



    Meine Meinung: Hinter dem Pseudonym Tom Finnek verbirgt sich Mani Beckmann, der mich mit seiner Moortrilogie um das Dorf Ahlbeck im Münsterländischen schon überzeugt hat. Und vieles von dem, was mir dort gefallen hat, habe ich auch hier wiedergefunden. Bezeichnend ist, daß um die „große Geschichte“ ein Bogen gemacht wird. Hier tritt kein König auf, die einzigen Adligen sind ein paar verschämte Besucher in Edwards Theater und ansonsten ist die ranghöchste Person der Bürgermeister von London. Sehr viel mehr erfährt man über die Menschen, die gegenüber von London am anderen Themseufer leben, und das ist wahrlich keine besonders aparte Wohngegend, im Gegenteil war ich wieder einmal froh, daß Bücher nicht die Gerüche ihrer Handlungsort transportieren, von dem beschriebenen Dreck und den harten Sitten ganz zu schweigen. Insgesamt paßt die Atmosphäre aber sehr gut zur erzählten Geschichte und wird durch die Abschnitte, die auf dem Land in Surrey angesiedelt sind, auch gut kontrastiert.


    Ein weiterer Aspekt ist die Variablität der Sprache. Die einzelnen Teile sind aus verschiedenen Perspektiven erzählt, wobei nur Geoff als Ich-Erzähler auftritt. Gerade hier schafft Finnek einen betont lässig-schnoddrigen Stil, der hervorragend zu einem 13jährigen paßt, der für ihn ungewohnter Weise strukturiert und kausal berichten soll. Aber auch die übrigen Abschnitte unterschieden sich durchaus, je nachdem ob bspw. Jezebel oder der Nachbar Ray Webster oder sonst jemand den Fokus bekam. So gut mir die von Geoff erzählten Teile gefallen haben, so geschickt war es, nicht die ganze Geschichte in diesem Stil zu erzählen, der sich darüber abgenutzt hätte. Zudem hätte dies eine Verengung auf Geoffs Perspektive bedeutet, die dem Leser viele Einsichten und Puzzlestücke vorenthalten oder nur mühselig anders hätte präsentiert werden können. Ich mag es auch durchaus, wenn ich eine Szene aus mehreren Perspektiven erleben kann, das eröffnet meist ganz besondere Einblicke – oder auch Verwirrungen, was aber auch seinen Reiz hat.


    Einziger Wermutstropfen für mich ist, daß doch die ein oder andere Frage zu viel am Ende offen geblieben ist. Teilweise war das durchaus passend, weil die Beteiligten oder Betroffenen sie nicht mehr auflösen konnten und man sich auch im echten Leben damit würde abfinden müssen. Aber speziell eine Episode aus Mutter Southwoods Vergangenheit hätte noch eine Auflösung erfahren dürfen, das blieb mir ein bißchen zu vage. Aber vielleicht findet Geoff die Antwort noch heraus und wir Leser erfahren sie dann in Gegen alle Zeit :zwinker:


    4ratten


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Schöne Rezi, sie macht neugierig! London zu dieser Zeit finde ich sehr spannend und unterschiedliche Erzähler können sehr anregend sein, wenn der Autor sich darauf versteht, die Erzähler auch unterschiedlich zu gestalten. Wie viel Raum nehmen denn die Pest und das Feuer ein?


  • Wie viel Raum nehmen denn die Pest und das Feuer ein?


    Beides eigentlich eher wenig. Die Pest spielt ziemlich am Anfang eine Rolle, weil sie die Familie Ingram betrifft und ein paar Verhältnisse in London und Southwark erklärt, und brennen tut es ganz am Ende. Dazwischen passiert eben alles andere, wobei auch die Vergangenheit eine große Rolle spielt ...

  • Wow... vier Leseratten für einen historischen Roman von Aldawen. Das muss ja ein grandioses Werk sein :klatschen:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Es gibt sogar welche, die von mir 4,5 Leseratten bekommen haben :breitgrins:

  • Wie viele Ratten auch immer, ich werte es auf jeden Fall positiv. Auch wenn die Pest und das Feuer weniger thematisiert werden, der Rest ist bestimmt auch spannend. Für mich ist schon das ganz normale Londoner Alltagsleben Anreiz genug, das Buch zu lesen. Vorausgesetzt, es ist gut geschrieben, und da verlasse ich mich auf Aldawens Einschätzung.

  • Der Roman „Unter der Asche“ ist buchstäblich tief schürfend. Er handelt vom Graben: Einerseits im wörtlichen Sinne vom Graben in der Erde durch christlich orientierte Siedler, die sich der Allgemeinheit gehörendes Land urbar machen und von den Früchten der Erde in einer Gemeinschaft im Sinne der Bibel leben möchten. Andererseits soll im übertragenen Sinne nach der Wahrheit gegraben werden.


    Im Prolog erhält der 13 Jahre alte Geoffrey Ingram von seinem Lehrer den Auftrag seine Erlebnisse vor dem großen Brand Londons zu Papier zu bringen. Dabei wird die Familiengeschichte der Familie Ingram aufgerollt. Der Leser wird aus verschiedenen Perspektiven durch ein Geflecht von Beziehungen geführt, größtenteils von Menschen auf der Schattenseite des pulsierenden Londoner Lebens.


    Die verschiedenen Blickwinkel aus denen die Entwicklungen, die zum großen Brand geführt haben, beleuchtet werden, haben mich an einzelne Bühnenbilder erinnert, vor denen das große Theater des Lebens teilweise schonungslos aufgeführt wird.


    Gleich von Anfang an schafft es der Autor sowohl die Atmosphäre des schmuddeligen Southwark einzufangen als auch die ländliche Gegend in Surrey anschaulich vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.


    Die Lektüre dieses Romans erfordert vom Leser einiges an Aufmerksamkeit und Geduld. Streckenweise empfand ich den Roman als recht sperrig, weil bei manchen Sachverhalten recht lange unklar ist, in welchem Zusammenhang sie zueinander stehen. Die zahlreichen Figuren und die Zeitsprünge waren für mich manchmal etwas verwirrend, obwohl eine Liste vorne im Buch die Hauptfiguren vorstellt und die zeitliche Entwicklung eigentlich auch klar aus dem Text hervorgeht.
    Obwohl die Geschichte mit großer Sorgfalt konstruiert ist, blieben mir hin und wieder Zweifel, ob ich alles mitgekriegt habe. Wie im realen Leben, weiß man bei vielen Figuren nie wirklich, woran man ist. Die Hauptpersonen sind sehr vielschichtig gezeichnet, so dass man zwischen Bewunderung und Verachtung schwankt und sie nicht unbedingt als Sympathieträger erlebt. Somit blieb der Identifikationsfaktor für mich für einmal aus, was ich aber nicht als nachteilig empfunden habe.


    Dieses Buch hebt sich für mich sehr angenehm von der Vielzahl historischer Roman ab. Es ist sorgfältig recherchiert, konstruiert und formuliert und ist für mich eine sehr angenehme Abwechslung, weil für einmal die ausschließlich positiv besetzten weiblichen Heldinnen ausbleiben. Deshalb empfehle ich es gerne weiter.


    4ratten

  • Mist, schon wieder eine Empfehlung! :breitgrins:


    Aber wenn selbst Aldawen das Buch empfiehlt ... ;)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich sag's nur sicherheitshalber: Ich will nicht ausschließen, daß es bei mir einen Mani-Beckmann-Bonus gibt. Aber selbst das in Rechnung gestellt, bleibt hier eindeutig ein historischer Roman der besseren Sorte :zwinker:

  • Bonus hin, Bonus her. Wenn Du mal ein historisches Buch so lobst, muss irgendwie was dran sein.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Tom Finnek erzählt uns in seinem Buch „Unter der Asche“ wie es 1666 zum großen Feuer von London gekommen ist. Das Feuer selbst spielt allerdings nur eine Nebenrolle, denn eigentlich geht es um Geoffrey, der mit seinem dauernd betrunkenen Vater hinter einer Schenke lebt, seine Schwester Jez, seinen Lehrer, seine Nachbarn und außerdem noch um die Diggers, eine Gruppe von Menschen, die vor ein paar Jahren eine der damals vielfach entstandenen ländlichen Kommunen gründeten und scheiterten.


    Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt und mir hat es sehr gut gefallen, wie der Autor die unterschiedlichen Erzähler auch jeweils mit ihrem eigenen Stil ausgestattet hat. Durch die Perspektivwechsel gelingt es außerdem sehr gut, den Leser mit zusätzlichen Informationen zu versorgen, ohne direkt alle Antworten, nach denen die Figuren mühsam suchen müssen, auf einmal zu verraten. Als weiteren Trick, um seine zahlreichen Nebenhandlungen und Vorgeschichten unter einen Hut zu bekommen, nutzt Finnek ein Theaterstück, welches im Buch aufgeführt werden soll und auf wahren Ereignissen beruht und so eine Katalysatorfunktion hat.


    Es war schon erstaunlich festzustellen, wie viele verschiedene Handlungen Finnek tatsächlich in dem Buch unterbringen konnte und dass, ohne dass es überfrachtet wirkte. Einzig auf eine Nebenhandlung, die eines Serienmörders, der durch London streift, hätte ich gut verzichten können, das war mir dann doch zu viel des Guten. Die Geschichte wob sich zwar problemlos ins Gesamtgeschehen ein, erschien mir aber überflüssig und leider etwas effekthascherisch. Ansonsten erschien mir aber alles sehr realistisch und lebensnah, besonders die Darstellung des Alltags gefiel mir gut, man konnte förmlich den Dreck sehen und den Gestank riechen. Die Figuren wirkten ebenfalls sehr realistisch und vielschichtig gestaltet, der Autor hat dankenswerterweise auf Schwarz-Weiß-Malerei verzichtet. Nur bei einer Geschichte aus der Vergangenheit bleibt mir das Urteil zu offen, eine eindeutige Aussage, was damals wirklich passierte, hätte die Sympathien für die entsprechende Person in jedem Fall allerdings von zwiespältig, zu „hat Mitleid verdient“ bzw. „hartherzig und bösartig“ verschoben - je nach Erklärung. Ich kann die Intention hinter dem Offenlassen also verstehen, auch wenn ich schon lieber zumindest eine kleine Tendenz geliefert bekommen hätte.


    Aber, es gibt eine Art Fortsetzung, auch wenn „Gegen alle Zeit“ ein paar Jahrzehnte später spielt, und andere Hauptfiguren hat, liefert es vielleicht doch ein paar interessante zusätzliche Informationen – doch egal, lesen will ich es auf alle Fälle, es geht um Zeitreisen (mein Lieblingsbuchthema) und Tom Finnek hat gezeigt, dass er ein gutes Händchen fürs Geschichtenerzählen hat.


    4ratten

  • Ich poste das mal hier, weil so viele an dem Buch interessiert schienen: Will jemand mein Exemplar? Ich würde es euch gegen Porto überlassen. :smile:


    Eine Rezension von mir folgt übrigens noch. :winken:

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Hi Doris,


    das Buch ist noch da. Schickst du mir deine Adresse bitte nochmal, dann bring ich es nächste Woche zur Post. :winken:

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Hallo Ihr Lieben,


    Das große Feuer in London 1666 vernichtet große Teile der Stadt. Ein Franzose wird schuldig gesprochen, als Brand-Verursacher und gehängt. Aber war er es wirklich oder wie sieht die Wahrheit aus? Ein Eremit und der junge Geoff kennen die wahren Schuldigen und erarbeiten sich gemeinsam nach und nach die gesamte Wahrheit.


    Das Buch beginnt mit einem kurzen Prolog in der Gegenwart: Das Feuer hat gewütet und der Franzose wird gerade gehängt. Als Leser erfährt man nur, dass sich der Eremit irgendwie schuldig fühlt und der junge Geoff wohl mehr weiß, als auf den ersten Blick klar wird. Im Laufe der Kapitel erarbeitet sich der Leser gemeinsam mit Geoff, Geoff's Schwester Jez und einem Bekannten der beiden Ray die gesamte Geschichte und Stück für Stück werden die Puzzle-Teile, die zum Feuer geführt haben, zusammengefügt.


    Dabei werden die unterschiedlichen Teile aus der Sicht der drei beschreibenden Personen erzählt. Geoff, ein 13jähriger Junge aus Southwark, dem ärmsten Stadtteil von London, beschreibt aus der Ich-Perspektive seine Eindrücke. Er schreibt dabei wie ihm "der Schnabel gewachsen ist": Ganz frei raus und herrlich schnodderig! Am Anfang war es etwas ungewohnt so ein Buch zu lesen, aber bereits nach kurzer Zeit hatte ich mich daran gewöhnt und war fast überrumpelt, als die Perspektive wechselt und man als Leser Jez verfolgt. Ohne Schnodderigkeit und auch nicht aus der Ich-Perspektive.


    Durch diese wechselnden Perspektiven erhält man als Leser ein sehr gutes Gesamtbild und nach und nach ergeben gewisse Passagen dann einen Sinn. Trotz allem bleibt die Auflösung, wer jetzt wirklich Schuld an dem Feuer ist, bis zum Ende im Dunkeln und die Auflösung hat mich dann sehr überrascht.
    Die Frage nach dem Feuer-Verursacher steht aber irgendwann auch im Hintergrund und ich als Leser war eher neugierig auf die verzwickte Familiengeschichte von Geoff, der unglücklichen Liebe von Jez und dem Geheinmis des Eremiten, dass irgendwie auch mit Jez und Geoff zu tun hat! Fast alle Fäden werden im Laufe der Geschichte aufgelöst. Einige nicht direkt, jedoch konnte ich mir gut die noch offenen Enden zusammenreimen und für mich die Geschichten schlüssig abschließen!


    Die einzelnen Charaktere sind jeder für sich sehr eigen, aber so gut dargestellt und gezeichnet, dass ich mich leicht in sie hinein versetzen und ihre Taten und Handlungen nachvollziehen konnte. Keine Figur blieb dabei schwarz oder weiß, sondern alle hatten ihre guten und schlechten Seiten. Wodurch auch ich keine Figur verdammt habe, sondern mit allen gut mitfiebern konnte.


    Alles in allem ein sehr gelungener historischer Roman, der durch diese unterschiedlichen Sichtweisen und Beschreibungen sich sehr angenehm von der Masse vieler anderer Romane abhebt und mir sehr viele schöne Lesestunden beschert hat!


    Ein absoluter :tipp: und ich freue mich sehr darüber, dass noch 2 Nachfolgebände geplant sind!


    5ratten


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • Den positiven Meinungen (dank denen ich das Buch überhaupt gelesen habe) kann ich mich anschliessen. Schön, dass es offenbar Nachfolgebände gibt - die werde ich sicher auf dem Radar behalten. Danke für diesen Thread, Aldawen! :smile:


    Inhalt:
    Es wird die Geschichte der armen Londoner Familie Ingram in den 1660er-Jahren erzählt. In diese Zeit fallen die grosse Pestepidemie und der Brand von 1666, der weite Teile Londons zerstörte. Im Elendsquartier Southwark hausen der Säufer Paul Ingram (dem die Frau nach der Geburt des dritten Kindes davon lief) und dessen Kinder Edward, Jezebel und Geoffrey. Schön hat es die Familie nicht und entsprechend versucht jeder, sich auf seine Weise durchzuschlagen. Die beiden älteren Kinder sind praktisch schon erwachsen und kehren dem häuslichen Elend den Rücken, sobald sie können, während der kleine Geoff sich damit abmüht, Lesen und Schreiben zu lernen, damit aus ihm vielleicht auch noch etwas wird.


    Meine Meinung:
    In diesem historischen Roman geben reale Begebenheiten – obwohl vom Autoren genau recherchiert – nur den Rahmen vor, in dem die Geschichte der Ingrams erzählt wird. Und die hat es in sich. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint und jeder der Charaktere hat es faustdick hinter den Ohren. Das macht die Geschichte äusserst unterhaltsam und ich sah gerade deswegen gerne darüber hinweg, dass es sehr viele Zufällen und Verwicklungen gibt, die mich sonst nur mit den Augen rollen lassen würden. In diesem Fall haben sie gut in das Buch gepasst, das irgendwo zwischen Drama und Schelmengeschichte angesiedelt ist.


    Es gibt nicht viel auszusetzen an diesem Roman, der interessant aufgebaut ist. Zum einen gibt es Geoffreys Protokolle zu lesen, die aus der Ich-Perspektive geschrieben sind. Diese wechseln sich ab mit der klassischen auktorialen Erzählperspektive, die mal Edward und mal Jezebel folgt. Aber nicht nur deren Geschichte ist zu erfahren, die Nebencharaktere sind ebenso interessant und ihnen wird auch entsprechend Platz eingeräumt. Dass dabei keine chronologische Reihenfolge eingehalten wird und man gewisse Dinge nur nach und nach erfährt, hat mir gut gefallen, zumal die Einstreuungen nicht beliebig, sondern mit Bedacht platziert wirken.


    Die Geschichte machte auf mich generell einen gut konstruierten Eindruck, was viel zum Unterhaltungswert dieses Buches beiträgt. Gleichen Anteil daran hatte für mich die Ausarbeitung der Charaktere, die allesamt unberechenbar wirkten (und manchmal auch so handelten). Erfrischend und lustig fand ich zudem die sparsame Einbindung historischer Charaktere wie etwa den Kürzestauftritt von Samuel Pepys, dem wir nur kurz begegnen, als er vergeblich Einlass in ein inoffizielles Theater fordert. Solche Dinge und die Schilderungen der Lebensumstände zu jener Zeit schaffen Atmosphäre und liessen mich richtig in das Buch eintauchen.


    Kleine Abzüge gibts bei den oben erwähnten, häufig bemühten Zufällen und bei gewissen kleinen Längen, die sich da und dort eingeschlichen haben. Die eine oder andere Szene hätte ohne grossen Verlust gekürzt werden können. Und dann war da noch ein Charakter (Tom Farynor), der auf mich während der ganzen Lektüre wie ein Fremdkörper in der Geschichte wirkte. Der kam mir vor wie eine Figur, die nur da ist, weil es sie für gewisse Dinge braucht. Und auch das Ende der Geschichte war nichts, das mir lange in Erinnerung bleiben wird. Da hätte man mehr draus machen können, zumal Finnek zuvor bewies, dass er Ideen hat.


    Fazit:
    Ein nicht ganz gewöhnlicher historischer Roman, der vom Leser durchaus auch ein wenig Denkarbeit fordert, um den Anschluss (und die Übersicht) nicht zu verlieren. Ich kann ihn guten Gewissens weiterempfehlen.


    8 von 10 Punkten

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Das Buch hat acht Teile und mal wird die Geschichte aus der Sicht von Geoff erzählt, mal aus der von Ray und mal aus der von Jezebel oder Master Gerrard. So führt der Autor geschickt die losen Fäden zum Ende zu einem Knoten zusammen. Alles hängt irgendwie zusammen und ist sehr gut durchdacht. Am Schluss macht alles einen Sinn und ich habe gedacht: Ja, genau so könnte es tatsächlich gewesen sein.
    Sicher ist nur, dass das Feuer damals in der Bäckerei in der Pudding Lane seinen Anfang nahm, aber die genaue Ursache wurde niemals gefunden. Warum also nicht so, wie Tom Finnek es hier schreibt? ;)

    "Unter der Asche" ist ein spannender, großartig erzählter historischer Roman über ein tragisches Kapitel der Stadt London. Die Figuren sind sehr gut ausgearbeitet und selbst die Nebenfiguren bleiben nicht farblos. Geoff war mir gleich sympathisch, denn trotz seiner Lebenssituation gibt er nicht auf. Tom Finnek schreibt sehr lebendig und anschaulich, ich konnte die Stadt direkt vor mir sehen.

    2007 war ich in London und habe das "Monument" besichtigt, das als Mahnmal für das Große Feuer gebaut wurde. Wenn ich noch mal in London bin, werde ich sicher beim Anblick der Säule mit der goldenen Flammenkuppel an einen dreizehnjährigen Jungen namens Geoffrey denken. ;)

    Wer historische Romane mag, die eine gute Mischung aus Fakten und Fiktion sind, der liegt bei "Unter der Asche genau richtig.


    5ratten

    Ich kaufe keine Bücher. Ich adoptiere sie. :hexe:

  • Die Geschichte beginnt mit dem Ende, nämlich der Hinrichtung des mutmaßlichen Brandstifters, der das große Feuer von 1666 in London verursacht haben soll. Der junge Geoffrey beobachtet die Urteilsvollstreckung und wird danach von seinem Lehrer, einem verschrobenen alten Einsiedler, gebeten, die Ereignisse aufzuschreiben, die schließlich mit dem großen Brand endeten. Geoffrey hat viel zu erzählen, denn nicht nur er, sondern auch seine beiden Geschwister und eine ganze Reihe anderer Menschen sind in die Sache verwickelt, die sich im Lauf des Berichtes immer mehr als äußerst komplexe Angelegenheit erweist. Die Ursachen gehen sogar einige Jahrzehnte zurück. Geoffrey hat eine erfrischende Art zu erzählen, so dass es kaum langweilig wird. Auch andere Beteiligte kommen zu Wort, und so wird mit der Zeit ein Komplott aufgedeckt, das viel komplizierter ist, als man anfangs vermutet.


    Liebe, Rache und eine religiös-politische Bewegung spielen auch eine Rolle, und das ist der Grund, warum mir die Handlung mit der Zeit zu überfrachtet erschien. Teilweise war es schwer, der Geschichte zu folgen, weil unter den vielen Beteiligten auch Querverbindungen bestehen. Lange mit dem Lesen auszusetzen ist da nicht angeraten.


    Sprachlich ist das Buch ansprechend aufgebaut. Kurzweilige Dialoge wechseln sich ab mit Landschaftsbeschreibungen und spannenden Passagen. Bemerkenswert sind die Schilderungen der Londoner Viertel. Es ist nicht schwer, sich bei diesen bildhaften Beschreibungen in die Szenerie hineinzuversetzen. Auch die einzelnen Charaktere werden sehr lebendig dargestellt, wobei Geoffrey, der im Mittelpunkt steht, eine deutliche Entwicklung durchlebt.


    Abgesehen von den zu umfangreichen Nebenhandlungen – auch wenn sie zum Verständnis beigetragen haben – ist das Buch eine Empfehlung, vor allem für Liebhaber des alten London.


    4ratten


  • Teilweise war es schwer, der Geschichte zu folgen, weil unter den vielen Beteiligten auch Querverbindungen bestehen. Lange mit dem Lesen auszusetzen ist da nicht angeraten.


    Das kann ich nur bestätigen. Ich bin gerade etwas über die Hälfte hinaus, bin ein paar Tage nicht wirklich zum Lesen gekommen und habe etwas den Faden verloren. Den Durchblick durch die familiären Verflechtungen zu behalten ist gar nicht einfach - wirklich spannend und gut geschrieben, aber man muss aufmerksam lesen. Die durchweg positiven Rezensionen hier und die Aussicht auf einen schönen, verregneten Lesetag morgen bringen mich bestimmt wieder in die Geschichte zurück.


    Seoman