Die Zeit wirft Günter Grass Antisemitismus vor

Es ist leider so, dass man - und gar in Deutschland - keine Kritik an Israel äussern darf, ohne dass man gleich des Antisemitismus beschuldigt wird. Grass war sich dessen sicher bewusst, und das war wohl mit ein Grund, warum er ein Gedicht gechrieben hat und keinen Essay. Grass war mal ein Vorzeigelinker. Jetzt darf man auf ihm herumhacken. Journalistische Profilierungsneurosen? Ich weiss es nicht.

In dieser Angelegenheit muss ich der Kanzlerin einmal voll und ganz beipflichten: zu Grass gibt es nichts (oder nicht viel) zu sagen - außer, dass ich ein anderes geschichtliches und politisches Verständnis habe.
Und im Übrigen Grass nie als Vorzeigelinken empfunden habe (aber ja, ich weiß, dass er das von anderen wurde).

Kann man irgendwo im Netz Grass' Gedicht lesen?

Hier.

Zitat von nimue

hier noch eine Stellungnahme des Ex-Botschafters von Israel: [url=http://www.fr-online.de/israel-iran-konflikt/ex-botschafter-von-israel-avi-primor--guenter-grass-versteht-nicht--worum-es-geht-,11950234,14683512.html]Günter Grass versteht nicht, worum es geht[/url]. er hält ihn aber auch nicht für einen Antisemiten oder für einen Feind Israels.

Ich habe das Interview zwar nur quergelesen, aber Herr Primor macht einen erfreulich unaufgeregten, sachlichen Eindruck.

Das wird jetzt sicher wieder so eine künstlich hochgehaltene Debatte (Ich finde ehrlich gesagt sowohl das Gedicht selbst als auch die hochgekochte Diskussion verzichtbar.)

Zitat von nimue

allerdings halte ich auch nichts davon, dass Deutschland andere Länder mit Waffen und U-Booten beliefert.

Da bin ich völlig bei Dir.

Ich tu mich nur irgendwie schwer mit dieser Form der Meinungsäußerung, dieses seltsame "Gedicht" (machen willkürliche Zeilenumbrüche schon ein Gedicht? Ich bin wohl einfach nicht intellektuell genug für sowas ) spricht mich so gar nicht an und schießt mMn inhaltlich übers Ziel hinaus.

Gestern hab ich dieses Gedicht schon bei tagessschau.de gelesen und mein erster Gedanke: Grass mal wieder
Diese künstliche Antisemitismusdebatte dazu find ich noch nerviger. Und dazu dann dieses wiederaufkochen das er mit 17!! in der Waffenss war... Wer seine Bücher genau gelesen hat wusste eh schon Jahre vorher das er da wohl eigene Erfahrungen gemacht hat... aber gut nur soviel noch: Natürlich ist es in Deutschland immer besonders pikant wenn man kritisch über Israel spricht. Ich finde es nach wie vor Schade das hier keine Sachliche Diskussion möglich ist und vor allem das man automatisch Antisemit ist wenn man Israel Kritik übt. Ich sehe es auch sehr kritisch und ich denke mal das jeder der mich ein bissl kennt weiß das ich alles andere als rechte Ansichten vertrete (geschweige denn Antisemitische).

PS: Tja jetzt haben Bild und Co halt mal ihr Osterloch gestopft.

Puh! Du halst aber immer Themen hervor, nimue!
Ich bin da sehr zwiegespalten.
Zunächst einmal halte ich das Gedicht als Gedicht für Müll. Es ist ein Statement, als schlechtes Gedicht getarnt.
Mir gefällt auch nicht, wie oft er das Schuld- und Schamproblem der Deutschen anspricht.
Einmal hätte gereicht. Durch die wiederholte Verwendung macht er sich tatsächlich angreifbar.

Ich bin deshalb zwiegespalten, weil ich Grass durchaus verstehen kann. Das kollektive Schuldgefühl, das mir persönlich aufgrund meiner Nationalität aufgedrückt wird nervt mich auch oft .
Ja, ich fühle mich in gewisser, genereller Weise schuldig, wegen der Geschehnisse und wir müssen alles tun um zu verhindern, dass so etwas je wieder geschieht. Aber wenn mir das immer wieder von außen gesagt wird und man versucht mir persönlich die Schuld zu geben und mir nur aufgrund meiner Nationalität Antisemitismus vorwirft, reicht es mir irgendwann. Nicht einmal meine Eltern waren damals schon geboren, bei vielen heute nicht mal die Großeltern. Ich bin nicht persönlich verantwortlich für die damaligen Geschehnisse!
Ich bin nicht mal persönlich verantwortlich für die heutigen Geschehnisse, aber immerhin kann man versuchen die Welt ein klein wenig besser zu machen.
Manchmal kann man das eben nur, indem man öffentlich Kritik an politischen Entscheidungen übt.

Ich habe keine Vorurteile gegen Juden oder gegen Israel.
Und genau deshalb weiß ich aber auch nicht, warum ich nicht mal die israelische Politik kritisieren dürfte. Es sagt ja auch keiner was, wenn ich die amerikanische, chinesische oder auch iranische Politik kritisiere.
Es hätte auch keiner etwas gesagt, wenn Grass darüber geschrieben hätte.
Zum aktuellen Fall der U-Boote kann ich nichts sagen, dazu weiß ich zu wenig. Ich kann auch Israels Angst gut verstehen.
In jedem Fall kann ich aber sagen, dass auch ich einen weiteren Krieg in dem Gebiet sehr fürchte und finde, man sollte alles unternehmen, dass es nicht dazu kommt.

Die Reaktion von Herrn Primor fand ich auch erfreulich sachlich, den Artikel in der Zeit hingegen nicht.

Ach ja auf tagesschau.de gibt es einen interessanten Artikel dazu: Israel nimmt Grass-Gedicht nur am Rande zur Kenntnis

Der Artikel findet mit "kalkulierter Tabubruch" eine schöne Formulierung für das, was mir die ganze Zeit schon auf der Zunge lag. Genau so empfinde ich das. Und die Medien stürzen sich natürlich drauf.

Zitat von nimue

Ich hatte das in meinem Beitrag oben auch bereits verlinkt

Da hatte ich mal wieder Tomaten auf den Augen.

Vorneweg: ich kenne mich weder mit Grass noch mit der aktuellen Beziehung Deutschlands zu Israel besonders aus.
Aber ich frage mich die ganze Zeit schon, weshalb hier von Antisemitismus gesprochen wird. Es sei denn man setzt jegliche Kritik am politischen System und Vorgehen Israels unreflektiert mit Antisemitismus gleich.
Das iranische Atomprogramm ist doch auch ständig negativ besetzt in den Medien, aber hier spricht keiner gleich von anti-islamistischen Ansichten.
Das Gedicht mag politisch gesehen fehl am Platz sein, aber diese Einschätzung möchte ich lieber anderen überlassen, die sich besser auskennen.

Im übrigen sehe ich auch Diskussionen in heutiger Zeit über ehemalige Mitglieder der NSDAP und deren Untergruppierungen sehr komplex und vielschichtig.
Ich möchte hier deutlich klarmachen: ich verurteile alle Verbrechen, die in dieser Zeit geschehen sind, ich finde es wichtig, dass die Geschehnisse aufgearbeitet werden und jeder, der mich auch nur etwas kennt, weiß, dass ich extreme und menschenfeindliche Ansichten egal welcher Art schrecklich finde.
Aber: keiner von uns hat diesen Krieg noch miterlebt. Und ich glaube, man kann sich gar nicht so recht vorstellen, wie das Leben für die Menschen damals wirklich war. Der Druck und die Propaganda auf die Bevölkerung muss immens gewesen sein. Ich weiß zum Beispiel von meinen Großeltern (in Wien), dass sie ihren Nachnamen damals ändern lassen mussten, weil er zu ausländisch und zu slawisch klang und sie dadurch Gefahr liefen, vertrieben zu werden oder noch schlimmeres. Und das ist ja im Vergleich zu anderen Geschichten noch harmlos. Von meiner Urgroßmutter auf der anderen Familienseite weiß ich, dass sie ein Mutterkreuz bekommen hat. Macht sie das zum Nazi? Ich habe meine Urgroßmutter ja nicht mal kennengelernt und weiß eigentlich gar nichts über sie.
Ich möchte hier aber niemanden in Schutz nehmen oder mich stellvertretend rechtfertigen, wirklich nicht. Ich finde nur, dass man es sich manchmal vielleicht ein wenig zu einfach macht.

So, nachdem ich heute abend nun die Tagesthemen zu dieser Debatte gesehen habe, liegt mir doch noch das ein oder andere auf der Zunge.

Grass' Gedicht ist in meinen Augen nicht antisemitisch, kann es gar nicht sein, denn es richtet sich gegen die Politik Israels und nicht gegen das Judentum an sich. Ob Grass selbst ein Antisemit ist, konnte ich weder vor noch nach dem Gedicht sagen. Allerdings halte ich sein Gedicht für verkürzt, ja sogar in den meisten Fällen für falsch.

Es geht in diesen Tagen in Israel um einen möglichen militärischen Schlag gegen Iran aus Verteidigungsgründen. Iran erkennt den Staat Israel nicht an, spricht seit Jahren von einer Auslöschung des jüdischen Staates und nicht nur ihr Präsident Achmadinedschad hetzt nahezu ununterbrochen antisemitisch. Dies ist der Kern des Problems, ebenso wie die atomare Aufrüstung der islamischen Republik. U-Boote der Israelis würden im übrigen nicht zu einem Erstschlag dienen, aber das jetzt auch noch militärstrategisch zu beleuchten, führt zu weit.
Weltfrieden? Wovon spricht er da? Es gibt auf der Welt keinen Frieden. Ich glaube, es gibt auf der Welt zur Zeit zwischen 45 und 50 Kriege, von den meisten haben wir vielleicht noch nicht einmal gehört. Deshalb frage ich mich, was er mit brüchigem Weltfrieden eigentlich meint...
Israels Demokratie ist mitnichten perfekt - aber wenn ich in die angrenzenden Staaten schaue, dann muss ich sagen, dass ich sehr, sehr froh um diese eine bin. Das bedeutet nicht, dass an Israels Politik nichts zu kritisieren wäre - über Themen wie Besatzung, Siedlungsbau und ultra-orthodoxe Frauenfeindlichkeit lässt sich stundenlang debattieren und zwar ohne per se Antisemit zu sein.
Wäre Grass von ganzem Herzen engagierter Pazifist, würde ich ihm die Kritik an der deutschen U-Boot-Lieferung auch sofort durchgehen lassen - so aber hinterlässt auch dies einen faden Beigeschmack. Ich für meinen Teil kritisiere die deutschen Waffenlieferungen an viele Staaten dieser Welt, die ich für wesentlich bedenklicher halte. Im Falle dieser Waffenlieferung kann ich mich aber verhältnismäßig entspannt zurücklehnen, da ich Deutschland als Bündnispartner Israels in der Pflicht sehe. Unter anderem in einer historischen Pflicht - damit nie mehr jüdische Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Staatsangehörigkeit sterben müssen. Und hierbei geht es um reine Selbstverteidigung, meiner Meinung nach. Israel ist nun mal ein sehr kleines Land mit zahlreichen Feinden ringsherum, das ohne Unterstützung von außen schon seit Jahrzehnten dem Erdboden gleich gemacht worden wäre, da bin ich felsenfest überzeugt. Und das möchte ich nicht zulassen!

Wenn Herr Grass nun von einer gleichgeschalteten Presse spricht, dann ist dies die nächste Dummheit in meinen Augen. Denn erstens gibt es sowohl in den alten, antiimperialistischen FDJ- als auch in den rechten Gazetten große Zustimmung für ihn und zweitens hat, was die bürgerliche Presse angeht, Herr Karasek recht: wenn jemand aus 2+2 das Ergebnis 5 erhält, braucht er sich nicht wundern, wenn alle sagen, dass es nicht stimmt.