Juli Zeh - Unterleuten

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    Inhalt
    Ein kleines Dorf, irgendwo in Brandenburg. Es ist idyllisch, hier ist die Natur noch unberührt, es gibt seltene Vogelarten, kleine Dörfer mit kleinen Häuschen und liebenswert schrullige Menschen. Aber der Schein trügt: als eine Investmentfirma einen Windpark bauen will, zeigen Land und Leute ihr wahres Gesicht.


    Meine Meinung
    Jeder träumt von seinem kleinen Paradies. Das Stadtleben ist zu hektisch und unpersönlich deshalb zieht man aufs Land. Aber was anfangs eine gute Idee ist, wird schnell zum Albtraum. Der Nachbar verbrennt tagelang seinen Müll so dass man nicht aus dem Haus kommt, eine wichtige Baugenehmigung wird nicht erteilt und Anschluss an die Dorfgemeinschaft findet man sowieso nicht.


    Was genau ist schief gelaufen? Wahrscheinlich alles. Man kann nicht in eine gewachsene Struktur eindringen ohne sich einzubringen. Aber genau das machen die Neuzugänge nicht. Sie gehen nicht mal beim Nachbarn vorbei auf eine Tasse Kaffee, sie reden nicht miteinander sondern gehen den offiziellen Weg. Das mag in der Großstadt der bessere Weg sein, aber hier macht man sich damit keine Freunde. Und als es hart auf hart kommt, weiß man nicht an wen man sich wenden kann.


    Denn in dem kleinen Ort ist nicht alles harmonisch. Viel zu viel ist in der Zeit der DDR und nach der Wende passiert. Unter der scheinbar ruhigen Oderfläche brodelt es und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Vulkan ausbricht.


    Mir haben die unterschiedlichen Erzählperspektiven gut gefallen. Jede der beteiligten Personen kommt mehrmals zu Wort. So bekommt der Leser ein gutes Bild über die Dinge, die in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart schief gelaufen sind. Wie es weitergehen wird, kann man daraus aber nicht schließen. Und so kommt das Ende überraschend. Oder vielleicht auch nicht denn irgendwie war es klar, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird.


    Man darf sich von dem ruhigen Stil und wenig aufregenden Anfang nicht täuschen lassen. Die Autorin versteht es, ihre Leser zu fesseln.
    5ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Inhalt:


    Unterleuten ist ein kleines Dorf in der nähe von Berlin mit all den alten und neuen Streitigkeiten und Verbindungen, die das Zusammenleben in einem Dorf mit sich bringt. Hier gibt es Famlien, die schon seit langem hier wohnen und Zugezogene, die sich hier den Traum vom Leben im Grünen verwirklichen wollen.


    Juli Zeh stellt uns hier eine gut Auswahl an Bewohnern vor, die uns ihre jeweilige Sicht auf die Ereignisse im Dorf erzählen. Dabei lernen wir viel über die Vergangenheit des Dorfes, die auch durch die Zeit in der DDR geprägt war, aber auch eine Neubürger werder vorgestellt, die uns von ihren Wünschen und Zielen erzählen, die sie in dieses Dorf geführt haben. Schnell werden hier alte und neue Konflikte und Streitigkeiten deutlich, die wir so auf den verschiedenen Sichten der Personen erzählt bekommen.


    Spannend wird dieser brodelnde Topf als Pläne zu einem Windpark auf der Anhöhe des Dorfes bekannt werden und verschiedene Bewohner versuchen sich Vorteile in der Vergabe zu verschaffen oder diesen Park zu verhindern.


    Meine Meinung:


    Es handelt sich um ein Buch, bei dem man als Leser auf den ersten Seiten etwas irritiert ist, wohin diese Geschichte führt. Auf den ersten Seiten werden die einzelen Personen vorgestellt, die zunächst als Individuen erscheinen mit ihren Geschichten, aber schnell werden die Verbindungen deutlich. Beim Lesen entwickelt sich langsam ein ganzes Netz von Verbindungen die eine sehr spannende Geschichte aus Intrige, Feindschaft, Verbindungen und Freundschaften ergeben, die den Leser gefangen nimmt.


    Besonders interssant fand ich dabei die alten Verbindungen aus der Zeit der DDR, die Zeit der Kollektivierung und die alten Feinschaften und unsichtbaren Machtstrukturen, die noch aus dieser Zeit stammten. Auf der anderen Seite stehen die Neubürger, die sich hier ein Leben aufbauen wollen und dabei gar nicht merken, in welche Fettnäpfchen sie unbewußt treten und dadurch mit Problemen konfrontiert werden, die sie gar nicht durchschauen können.


    Ein ruhiges, erzählendes Buch, aber auch eins, das den Leser gefangen nimmt und spannend von der ersten bis zur letzten Seite ist. Das Buch lebt sehr stark von der Zeichnung der Charaktere, aber auch von den einfühlsamen Beschreibungen der einzelnen Lebensgeschichten. Die Erzählperspektive ist ungewöhnlich, denn es gibt kein Gesamtbild, sondern die Geschichte wird jeweils aus der perspektivischen Sicht der einzelnen Personen erzählt. Der Leser muß sich also ein Gesamtbild zusammenstellen.


    Das Buch ist absolut lesenswert, man muß sich aber als Leser auf die Geschichte einlassen und sich mit der ungewöhnlichen Erzählperspektive anfreunden.

  • Ich habe Frau Zeh diese Woche bei Markus Lanz gesehen, wo sie ihr Buch vorgestellt hat.


    Es hat sich interessant angehört und Eure Rezensionen bestärken mich - das muss ich lesen!

  • Das Buch konnte mich eben bisher nicht wirklich fesseln - weder von den Charakteren, der Handlung noch vom (aber angenehm-unauffälligen) Stil her; Euren Besprechungen entnehme ich aber, dass das bisher vielleicht nur eine Art "Exposition" war und werde daher doch weiterlesen. :)

  • Ich habe mir zwischendurch auch überlegt, ob ich das Buch nicht besser abbrechen sollte. Bin aber froh, dass ich es nicht getan habe :smile:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Mir hat der Roman ausnehmend gut gefallen, ich fand ihn auch sehr spannend und habe ihn in drei Tagen durchgelesen. M. E. lohnt es sich wirklich, dranzubleiben.

  • (Wenn ich schon "zwischenreingestört" hab, wenigstens eine Abschlussmeldung: )


    Ich habe "Unterleuten" inzwischen ausgelesen und es ist ganz objektiv wirklich ein gutes, vor allem auch ein rundes Buch.
    Besonders gut gefallen hat mir der Stil: Unaufdringlich (die Juli Zeh aus den Kolumnen fand ich zwar meist recht originell, aber ein ganzes Buch lang wär das einfach zu.. aufregend.. *g*) mit immer wieder sehr treffend herausragenden Feststellungen und Formulierungen.
    Es ergibt sich auf nicht zu marktschreierische Art und Weise in "Unterleuten" eine ganz bestimmte fast greifbare dörflich-menschlich-politische Atmosphäre - wie lebensnah diese "von innen betrachtet" ist, kann mir vielleicht jemand anderes sagen?


    Obwohl es zweifellos ein guter und auch lohnender Roman ist, ist es aber keiner, der mir beim Lesen unbedingt viel "Freude" gemacht hat - zu bedrückend ist doch Vieles: Das Fehlen von "positiver Energie", der enge selbstbezogene Blick der meisten Protagonisten und vor allem die scharfsichtigen, aber eben doch deprimierenden Beschreibungen der ausnahmslos eher unglücklichen Paarbeziehungen lassen diese nicht aufkommen. Nicht jedes Buch kann ein "Wohlfühlbuch" sein, aber der "Gewöhnliche Leser" hat doch gern zumindest ein wenig Hoffnung.. ;)

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Hallo,


    ich habe das Buch im Rahmen meines Lesekreises gelesen und diskutiert. Ich persönlich fand die Geschichte und der darin spielenden Personen gut gezeichnet und in sich stimmig.
    Der Blick aufs Land und die gesellschaftlich-sozialen Strukturen und die Eigenheiten der einzelnen Personen wurden hier sehr gut aufgezeigt. Auch die Art, immer wieder aus der Sicht einer Personen zu erzählen und mit einem Perspektivwechseln dann die gleiche Angelegenheit von einer anderen Person aus zu sehen war spannend und unterhaltsam.


    In der späteren Diskussion waren nicht alle begeistert von dem Buch, interessant fand ich, das die unterschiedlichen Leute manche Dinge so unterschiedlich gelesen haben, ja nach dem ob sie in Ost oder West aufgewachsen sind und ob sie Städter waren oder zumindest zeitweise auf dem Land leb(t)en.
    Wir empfanden es zumindest als ein tolles Buch für einen Lesekreis.


    Es muss wohl dazu auch diverse Internetseite und künstlich erschaffene Medien um den Roman geben, die habe ich mir persönlich nicht angeschaut, sie stießen aber auch durchgängig eher auf Unmut.


    Von mir gibt es 4ratten für ein wirklich unterhaltsames Buch.


    Grüße
    schokotimmi


    PS: Auch als Hörbuch zu empfehlen, ich habe es teilweise auch gehört und fand auch das gut in der ungekürzten Form.

  • 4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Wenn in Unterleuten, einem kleinen Dorf in Brandenburg, überwiegend Kopien der eigenen Person leben würden, dann, ja dann wäre das Leben dort vermutlich sehr idyllisch und harmonisch. So aber treffen Menschen aufeinander, von denen sich jede/r im Besitz der alleinglückseligmachenden Wahrheit meint, während der Rest nur Stuß verzapft. Darüberhinaus pflegen praktisch Alle ihre Vermutungen und Erwartungen über die Anderen, die im seltensten Fall positiv sind. Jede/r traut jeder/m das Schlechteste zu und fast wie eine Art selbsterfüllender Prophezeiung geschehen Dinge, die die eigene Meinung noch bestätigen. Statt miteinander wird mehr übereinander geredet und so verbreiten sich Mutmaßungen und Argwohn in Windesweile im Dorf. Stadtbewohner (junge Frau, alter Mann) gegen grobschlächtigen Einheimischen - die Frau nennt diesen nur 'das Tier'. Naturschützer gegen Unternehmen - man schreibt Briefe. Kommunist gegen Kapitalist - eine Feindschaft, die keinerlei sachliche Grundlage hat. Ehemann gegen Ehefrau in unterschiedlichen Konstellationen - Erwartungen und Vermutungen werden nicht ausgesprochen, stattdessen schweigt man bis zum bitteren Ende. Als dann im Dorf ein Streit über die Errichtung eines Windparks beginnt, werden diese Beziehungsgeflechte auf's Äußerste strapaziert, wobei die alten Konflikte mit einer ungeheuren Heftigkeit wieder aufbrechen und die NeubürgerInnen direkt miteinbeziehen.
    Obwohl das Buch mehr als 600 Seiten hat, lässt es sich weglesen wie ein Unterhaltungsroman. Die Figuren, die erst recht klischeehaft daherkommen, entwickeln sich ziemlich schnell zu eigenständigen Persönlichkeiten, sodass von der ursprünglichen Schablonenhaftigkeit nicht mehr viel bleibt. Gombrowski beispielsweise, der massige, ungeschlachte und auch brutale Wendegewinner hat eine überaus sensible Seite, von der aber nur die Wenigsten wissen - was ihn dennoch nicht von seinem Verhalten Anderen gegenüber freispricht. Schaller, sein ehemaliger Angestellter und Handlanger ist ähnlich ungeschlacht, wenn auch nicht so schlau wie dieser. Sein Schicksal ist derart unvorstellbar, dass ich mehr Mitgefühl als alles andere für ihn empfand. Und so ist es bei fast allen Figuren in diesem Roman, so eindimensional zu Beginn sie auch daherkommen mögen: Jeder/r von ihnen hat eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Von Juli Zeh habe ich kürzlich in einem Interview gelesen, dass Jonathan Franzen einer ihrer Lieblingsschriftsteller ist. "Mit seinem Roman 'Freiheit' kam ich mir wieder vor wie als Kind, als ich mit der Taschenlampe unter der Decke Seite um Seite verschlungen und alles andere vergessen habe. Es gibt nicht viele, die es beherrschen, so realistisch zu erzählen, ohne dass es dröge wird. Franzen schafft es, die Welt in der wir leben, anschaulich zu machen." Liebe Juli Zeh, Sie können das auch! Danke dafür!

    Je mehr sich unsere Bekanntschaft mit guten Büchern vergrößert, desto geringer wird der Kreis von Menschen, an deren Umgang wir Geschmack finden.    Ludwig Feuerbach (1804 - 1872)

  • Obwohl das Buch mehr als 600 Seiten hat, lässt es sich weglesen wie ein Unterhaltungsroman.


    Da hast du recht. Die Seitenzahl fällt nicht auf, da liest sich manches dünnere Buch wesentlich zäher.


    Die Figuren, die erst recht klischeehaft daherkommen, entwickeln sich ziemlich schnell zu eigenständigen Persönlichkeiten, sodass von der ursprünglichen Schablonenhaftigkeit nicht mehr viel bleibt.


    Das hast du schön gesagt :winken:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich stelle gerade fest, dass ich "Unterleuten" gar nicht bewertet habe, nachdem ich es vor einigen Monaten gelesen habe. Ins Detail kann ich jetzt nicht mehr gehen, aber zumindest weiß ich noch, dass mir das Buch gefallen hat, obwohl einige der Protagonisten schon sehr extrem erschienen. Es war auf jeden Fall spannend zu lesen. Meine Bewertung war


    4ratten


    Der Grund, warum ich diesen Thread gesucht habe, ist dieser: Juli Zeh hat für "Unterleuten" den Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt erhalten. Er ist mit 10.000 Euro dotiert, aber wie wichtig er einzuschätzen ist, weiß ich nicht. Mich freut es trotzdem. Ich habe die Lektüre in angenehmer Erinnerung.

  • Doris: danke für die Info. Das freut mich für die Autorin. Ich weiß zwar nicht welche Bücher sonst noch für diesen Preis nominiert waren, aber Unterleuten verdient ihn sicherlich.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • "Unterleuten" war wirklich nochmal ein kleines Highlight. Juli Zeh versteht es, verschiedenste Charaktere gut darzustellen. Besonders gefallen hat mir hierbei, dass die Figuren je nach Perspektive ganz anders waren, aber das Gesamtbild stimmig blieb. Alles hat immer mehrere Seiten, das hat Juli Zeh perfekt vermitteln können. Wie sich dann kleine Geschichten aufbauschen können, auch wenn es eigentlich gar nichts gibt, wurde hier auch sehr gut rüber gebracht.


    Mir hat das Buch wirklich Spaß gemacht!