Jonathan Franklin - 438 Tage

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  • Jonathan Franklin - 438 Tage

    Überlebenskampf auf dem Pazifik


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    Im November 2012 brechen die beiden Fischer José Alvarenga und Ezequiel Córdoba in einem offenen Motorboot zum Fischfang vor der mexikanischen Küste auf. Bei einem heftigen Sturm gibt der Motor seinen Geist auf, so dass das Boot nicht mehr steuerbar ist. Die Strömung treibt die Fischer immer weiter auf den Pazifik hinaus. Córdoba stirbt nach einigen Wochen, aber Alvarenga überlebt wie durch ein Wunder und wird schließlich 438 Tage später auf den fast 11.000 Kilometer entfernten Marshall-Inseln lebend an Land gespült.



    Was für eine Geschichte - mit Betonung auf Geschichte. Ich habe schon einige solcher Berichte von anderen Schiffbrüchigen gelesen, aber diese hier ist wirklich außergewöhnlich, und zwar im negativen Sinn. Schon damals, als die Nachricht von der Rettung Alvarengas durch die Presse ging, hatte ich meine Zweifel am Wahrheitsgehalt. Sicher bin ich keine Expertin auf dem Gebiet, aber da muss selbst Laien einiges spanisch vorkommen. Wer mehr darüber lesen möchte, kann das hier.


    Abgesehen davon, dass Alvarenga mit Abstand längste Zeit aller Schiffbrüchigen auf See zugebracht hat, sah er auf den Fotos seiner Rettung bedeutend besser als seine Leidensgenossen aus. Er begründet das damit, ständig Nahrung zur Verfügung gehabt zu haben. Das waren Seevögel und Fische, und zwar in rauhen Mengen. Natürlich gibt es im Meer Fische, diese aber mit der bloßen Hand zu fangen, wie Alvarenga es behauptet, ist ziemlich kompliziert, vor allem, wenn man das Boot nicht verlässt. Außerdem fing er teilweise mehrfach am Tag Vögel, ebenfalls mit der Hand. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Bericht von so vielen Vögeln erzählte. Wenn bei einem Segler mehrere tausend Meilen vor der Küste auch nur ein Vogel auf dem Boot landete, hatte das schon Seltenheitswert. Dass Alvarenga kaum verbrannte Haut hatte, ist noch im Bereich des Möglichen, da er sich in einer Kühlbox vor der Sonneneinstrahlung schützen konnte. Aber durch die häufige Benetzung mit Salzwasser und das ewige Reiben der nackten Haut im Boot müsste er deutlich mehr Entzündungen gehabt haben. Stattdessen sieht er ziemlich gepflegt aus, wenn man seine Kopfbehaarung außen vor lässt.


    Alvarenga weiß sich in jeder Situation zu helfen. Weil in dem ersten Sturm so gut wie alles weggeschwemmt wurde, hatte er kaum noch Ausrüstung an Bord, hat aber dann wie aus dem Nichts z. B. einen Schlauch zur Verfügung oder findet im umherschwimmenden Müll allerlei Nützliches. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass er für jedes Ereignis, das er schildert, das nötige Zubehör aus dem Meer herauszieht.


    Unglaubwürdig auch seine Begegnung mit einem Containerschiff, das er "einen ganzen Morgen lang" beobachtet haben will und auf seine Rettung hofft. Eigentlich müsste dieses Schiff vom Moment des Auftauchens am Horizont in längstens einer Stunde bei ihm gewesen sein. Andere Segler berichten da von 20 bis 30 Minuten.


    Und so gibt es noch andere Ungereimtheiten. Es ist zwar ziemlich unglaubwürdig, aber dadurch auch spannend zu lesen, weil ich mich immer frage, was als nächstes kommt. Ich habe meine eigene Theorie über die ganze Sache und werde später dazu schreiben (falls hier jemand mitliest :)).

  • Abgesehen davon, dass Alvarenga mit Abstand längste Zeit aller Schiffbrüchigen auf See zugebracht hat, sah er auf den Fotos seiner Rettung bedeutend besser als seine Leidensgenossen aus

    Das war auch mein erster Gedanke, als ich das Bild von ihm gesehen habe. Wenn ich an Maurice und Maralyn Bailey zurückdenke, wie abgezehrt die beiden ausgesehen haben, nehme ich ihm die 438 Tage nicht ab.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Die Reise geht weiter. Das Wetter wird meinem Gefühl nach nun häufiger angesprochen, wobei von Flaute bis zum Sturm alles dabei ist. Durch den Regen wird Alvarenga mit Wasser versorgt, ansonsten fängt er nach wie vor Fische und Vögel, man kann schon fast sagen: in rauhen Mengen.


    Ich zweifle nach wie vor daran. Ab und zu mal mit der Hand einen Fisch zu fangen, lasse ich mir eingehen. Aber wer das schon mal versucht hat, weiß, dass es nicht so einfach ist, vor allem von einem Boot aus. Das widerspricht so ziemlich allem, was ich bisher darüber gelesen habe. Bei den Vögeln ist es ähnlich. Er wird sicher welche erwischt haben, wenn sie schon ständig sein Boot zum Ausruhen benutzten. Aber es können unmöglich so viele gewesen sein. Dazu kommt, dass er immer eine größere Anzahl auf dem Boot "vorrätig" hatte. Am Wegfliegen hat er sie gehindert, indem er ihnen die Flügel brach. Kann auch sein, aber welcher Vogel bleibt dann brav sitzen? Haben sie nicht versucht, über den Bordrand ins Wasser zu entkommen? Außerdem musste er sie ja auch füttern, wenn sie nicht vorzeitig verhungern sollten, was wiederum bedeutet, dass er noch mehr Fische brauchte.


    Das bringt mich zu meiner Theorie. Ich vermute, dass hier Kannibalismus im Spiel war. Der andere Mann im Boot ist am 118. Tag gestorben (wie Alvarenga das ohne Aufzeichnungen feststellen konnte, ist mir schleierhaft) und wurde nach sechs Tagen von A. im Meer versenkt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Schiffbrüchige Teile von verstorbenen Kameraden gegessen haben. Wie man das Fleisch einigermaßen haltbar und genießbar macht, hat er an den Fischen und Vögeln schon gelernt. Damit könnte er einen längeren Zeitraum überbrückt haben.


    Es wäre ohnehin noch eine ganz andere Möglichkeit denkbar, nämlich dass A. gar nicht so lange unterwegs war, sondern den Sturm nutzte, um sich an der mexikanischen Küste irgendwo abzusetzen und eine Zeitlang zu verschwinden. Auf die Marshall-Inseln kann er auch mit irgend einem vernünftigen Segelboot gekommen sein. Ein Jahrzehnt zuvor ist er als junger Mann aus seinem Geburtsland auch schon sang- und klanglos verschwunden (trotz neugeborener Tochter), weil ihm angeblich irgendwelche Verbrecher umbringen wollten.


    Eine spannende Sache :)

  • Deine Theorie klingt plausibel, Doris. Aber dann verstehe ich nicht, wieso man unbedingt ein Buch über seine Erfahrungen schreiben und die Details "schönen" muss.


    Falls es tatsächlich zu Kannibalismus gekommen ist, kann ich nachvollziehen, dass er das nicht an die große Glocke hängen wollte, aber dann hält man halt einfach die Klappe ... oder?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich glaub eher an die Theorie mit der Insel, irgendeine unbewohnte Insel findet man schnell wo und wenn man wieder in die Welt zurück kommt will man seine Story halt vermarkten und Geld machen.

    Kommt mir am plausibelsten vor.

  • Inzwischen bin ich fertig mit dem Buch. Über Alvarengas Empfang auf den Marschall-Inseln wird noch ausführlicher berichtet, außerdem gibt es auch einige Fotos, auf denen der Schiffbrüchige gar nicht so schlecht aussieht (ein bisschen wie Reinhold Messner mit seiner Haarmähne und dem Vollbart :breitgrins:). Die Landung auf dem südlichsten Zipfel der Inselgruppe war gar nicht spektakulär, er wurde dort angespült und fand Zuflucht bei einem einheimischen Ehepaar, das die Behörden verständigte, die ihn dann in die Hauptstadt brachten, wo der Run auf ihn so richtig einsetzte.


    In seinem Nachwort erklärt der Autor Jonathan Franklin noch mehrfach, dass Alvarengas Angaben den Tatsachen entsprechen und erzählt auch über das Wiedersehen des Fischers mit seinen Kollegen und seiner Familie, darunter Frau und Tochter, die zuletzt vor 14 Jahren von ihm gehört hatten. Die Familie des verstorbenen Fischers bezichtigte Alvarenga übrigens später des Kannibalismus.


    Ich habe inzwischen etwas recherchiert und von anderen mexikanischen Fischern gelesen, die neun Monate über den Pazifik ebenfalls bis auf die Marshalls getrieben sind. Sie haben (zuerst zu fünft und dann zu dritt) in der gesamten Zeit 60 -70 Vögel, etwa 6 Schildkröten und 4 kleine Haie, dazu andere Fische gefangen, allerdings mit Speer und Angelhaken. Glaubt man Alvarenga, dann hat er diese Anzahl an Vögeln innerhalb weniger Wochen mit der Hand gefangen. Für mich ist da immer noch etwas faul.

  • Sehr glaubhaft liest sich das nun wirklich nicht. Dass die Familie des anderen Fischers ihre eigene Theorie dazu hat, ist verständlich. Es wäre, wie du schon schriebst, nicht das erste Mal.

  • Noch ein kurzes Fazit:


    Als Tatsachenbericht möchte ich 438 Tage nicht bezeichnen, denn ich bezweifle den Ablauf dieses Erlebnisses nach wie vor. Es ist unbestritten, dass José Alvarenga 438 Tage verschollen war, aber es gibt keine Zeugen dafür, dass sich wirklich alles so abspielte wie von ihm beschrieben. Manches ist einfach so anders verlaufen als bei vergleichbaren Schiffbrüchigen, dass es schon fast an ein Wunder grenzt, was ihm alles gelang.


    Der auf die Nacherzählung von extremen und lebensgefährlichen Erlebnissen spezialisierte Autor Jonathan Franklin ist Fernsehkommentator und Journalist, vielleicht hängt deshalb schon mehr als nur ein Hauch von Sensationsjournalismus über seinem Bericht. Technische Details werden zum Großteil ausgespart, was natürlich auch dem Umstand geschuldet sein mag, dass Alvarenga keine Möglichkeit zum Führen eines Logbuches hatte, aber das Buch ist generell so geschrieben, dass man sich ungewollt auf der Mitleidsschiene wiederfindet und sprachlos vor Bewunderung vergisst, sich übere den Wahrheitsgehalt Gedanken zu machen. Mit dieser Empfindung stehe ich nicht alleine da, es gibt hierzu mehrere interessante Artikel


    Somit also ein unterhaltsamer Bericht, so lange man ihn nicht allzu kritisch hinterfragt. Sich diesbezüglich aufdrängende Fragen werden leider nicht ausführlich beantwortet. Man kann Alvarenga nun glauben oder nicht, aber Franklin als Autor, der neutral bleiben sollte, wenn er eine fremde Geschichte erzählt, drängt die Leserschaft zu deutlich in eine Ecke. Und ich kann mir nicht helfen - ich sehe dahinter weniger die Absicht aufzuklären als vielmehr den Blick auf die Verkaufszahlen.


    2ratten

  • Das klingt sehr nach einem Buch, das ich in diesem Monat gelesen habe. Da gab es eine wahre Geschichte, auf der wurde. Aber die Geschichte drumherum klang sehr nach Sensationsschreiberei.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.