Bonnie Garmus - Eine Frage der Chemie/Lessons in Chemistry

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    Herausgeber ‏ : ‎ Piper; 3. Edition (31. März 2022)

    Sprache ‏ : ‎ Deutsch

    Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 464 Seiten

    ISBN-10 ‏ : ‎ 3492071090

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3492071093

    Originaltitel ‏ : ‎ Lessons in Chemistry


    Inhaltsangabe:


    Elizabeth Zott ist eine Frau mit dem unverkennbaren Auftreten eines Menschen, der nicht durchschnittlich ist und es nie sein wird. Doch es ist 1961, und die Frauen tragen Hemdblusenkleider und treten Gartenvereinen bei. Niemand traut ihnen zu, Chemikerin zu werden. Außer Calvin Evans, dem einsamen, brillanten Nobelpreiskandidaten, der sich ausgerechnet in Elizabeths Verstand verliebt. Aber auch 1961 geht das Leben eigene Wege. Und so findet sich eine alleinerziehende Elizabeth Zott bald in der TV-Show "Essen um sechs" wieder. Doch für sie ist Kochen Chemie. Und Chemie bedeutet Veränderung der Zustände...


    Autoreninfo:


    Bonnie Garmus war als Kreativdirektorin international vor allem in den Bereichen Medizin, Erziehung und Technologie tätig. Privat bevorzugt sie das Schwimmen im offenen Meer, wobei sie sich darauf konzentrieren muss, nicht darüber nachzudenken, was alles sonst noch unter ihr schwimmt. Gebürtig aus Kalifornien lebte sie lange in Seattle, wo sie sich ausgiebig dem Wettkampfrudern widmete. Sie ist außerdem Mutter zweier erwachsener Töchter und lebt aktuell mit ihrem Mann in London. Dies ist ihr erster Roman.


    Meine Meinung:


    Titel: Liebe ist eine chemische Reaktion...


    Wie kann man einem so unglaublich starkem Buch ein so gewöhnliches Cover geben? Fast hätte ich diesen Schatz übersehen und das nur, weil die Optik so nichtssagend ist.


    In der Geschichte geht es um Elizabeth Zott, die Chemikerin werden und als Forscherin arbeiten möchte. Leider lebt sie in den 60er Jahren, in denen Frauen nicht ernst genommen werden und sich doch besser um Kinder und Haushalt kümmern sollten als um Männerthemen. Oder etwa nicht?


    Auch wenn die Herren im Buch sehr schlecht wegkommen, so ist es keinesfalls ein Buch, das Männer schlecht macht, sondern es zeigt lediglich eine Zeit, in der Religion viel Bedeutung hatte und Emanzipation für die meisten Menschen ein Fremdwort war.


    Selten habe ich im Roman eine so starke Frauenfigur erlebt wie hier und Miss Zott hat mich mit ihrer sehr nerdigen Art in ihren Bann gezogen. Auch wenn das Schicksal ihr oft Steine in den Weg gelegt hat, richtet sie ihre Schutzbrille und startet neu durch und sieht nach vorn. Mir hat vor allem gefallen, dass sie nicht nur für sich kämpft, sondern andere Frauen ermutigt auch ihren Weg zu gehen. Und beim Kaffeekochen denke ich jetzt nur noch daran wie sie Kaffee zubereitet.


    Die geschilderte Liebesgeschichte zwischen ihr und Calvin hat mich berührt und ich habe sie als etwas sehr Besonderes wahrgenommen. Man kann die Funken beim Lesen ungemein spüren und bekommt ein Kribbeln im Bauch.


    Die dargestellte Fernsehshow würde mir auch heute noch gefallen, denn sie wäre auch jetzt noch etwas Einzigartiges unter all den bestehenden Kochshows.


    Doch nicht nur die Hauptfigur Elizabeth hat Charme, denn auch ihre Tochter Mad, Nachbarin Harriet, Produzent Walter oder Reverend Wakely wissen zu begeistern und jeder Leser wird seinen eigenen Favoriten haben. Mein Liebling ist ganz klar Hund Halbsieben, der versucht seine Liebsten immer vor dem großen Unglück zu schützen.


    Für mich ein unglaublich intensives Leseerlebnis, das mich in seinen Bann gezogen und einfach nicht mehr los gelassen hat. Die Geschichte wird noch lange in meinem Kopf bleiben.


    Fazit: Lesehighlight im Jahr 2022 und ganz klare Leseempfehlung von mir. Spitzenklasse!


    Bewertung: 5ratten und :tipp:

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Ich fand es auch toll!


    Köstlich in jeder Hinsicht!

    Verführerisch! Und das bezieht sich sowohl die beschriebenen Speisen als auch auf eine Vertiefung der Bekanntschaft mit Elizabeth Zott und ihrer Tochter. Was für ein Stil - witzig, aber kein bisschen oberflächlich - der Roman ist mindestens ein ebenso großer Genuss wie Madelines Pausenkästchen für die Schule! Wobei ich nichts dagegen hätte, wenn selbiges gleich mit zum Buch geliefert würde. Denn mir lief gleich mehrfach so sehr das Wasser im Munde zusammen, dass ich mir UNBEDINGT etwas gönnen musste. Aber nicht irgend etwas...


    Tja.... nur leider war Elisabeth Zott gerade nicht vor Ort, um ihre Creationen zu kredenzen.


    Aber das war nicht schlimm, denn Stil und Inhalt des Romans waren mir Genuss genug. Unterhaltsam, anspruchsvoll, warmherzig und feministisch - wann findet man all diese Eigenschaften in einem Werk?


    Absolut köstlich! Und absolut zu empfehlen. Ich lehne mich vielleicht ein wenig aus dem Fenster, aber ich wage es zu behaupten, dass die wenigsten von Ihnen etwas wie das hier schon mal gelesen haben. Was mich selbstredend mit einschließt.

    5ratten

  • Bei mir liegt es auch schon und wartet darauf gelesen zu werden. Ich hoffe es geht sich noch aus, dass ich hier meine Leseerfahrung teilen kann. Ich habs allerdings im original - Lessons in Chemistry.

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    Im Amerika der 1950er Jahre treffen zwei Menschen, zwei Chemiker aus dysfunktionalen Familienverhältnissen aufeinander. Elizabeth Zott und Calvin Evans. Sie stammt aus einer Familie von Betrügern, er wurde zunächst adoptiert, die Eltern kommen aber durch einen Unfall ums Leben und er landet dadurch in einem katholischen Waisenhaus in Iowa.


    Passend zum Titel gibt es zwischen Elizabeth und Calvin eine starke chemische Anziehung. Sie verlieben sich, ziehen zusammen, arbeiten zusammen für viele ihrer Mitmenschen unfassbar vor allem weil dies alles ohne Trauschein passiert. Die engen Ansichten, Wertvorstellungen, Intrigen und Eifersuchten werden gnadenlos aufgezeigt.


    Elizabeth hat es besonders schwer. Frauen sind dazu bestimmt, zu funktionieren, aber nicht so wie sie, sondern wie die meisten anderen Frauen. Sie regeln den Haushalt, produzieren Kinder und schauen schön aus für ihre Männer, die dafür das Denken für die Frauen übernehmen. Das ist das Ideal einer Frau in den stockkonservativen USA der McCarthy Ära. Die patriarchale Gesellschaft gestützt von den Kirchen und der Öffentlichkeit. Sie stellt sich dagegen. Ihre Leidenschaft ist die Wissenschaft. Sie studiert und erfährt früh, wie das “System” arbeitet. Sie wird ausgenutzt, sexuell missbraucht, ihre Forschungsergebnisse werden gestohlen.


    Calvin stirbt durch einen tragischen Unfall, wer wird von einer Polizeistreife überrollt. Sie ist unverheiratet, schwanger und durch den Verlust des ambitionierten Lebenspartners wird sie gemobbt und gekündigt.

    Durch eine Begegnung mit einem Fernsehproduzenten wird sie Gastgeberin einer etwas anderen Kochshow im Fernsehen. Sie vermittelt dem vor allem weiblichen Publikum Rezepte auf eine andere Art und Weise. Sie erklärt es wissenschaftlich, begeistert die Zuseherinnen für Chemie, motiviert sie dazu an sich selbst zu glauben, dass sie genau so viel können und wert sind wie ihre Männer. Sie propagiert Gleichberechtigung für alle, Männer und Frauen egal welcher Rasse oder Religion sie angehören.


    Am Schlimmsten für die Konservativisten ist, sie ist bekennende Atheistin.

    Ihre nationale Bekanntheit durch die tägliche Fernsehshow ruft auch viele Gegner hervor. Ihre Tochter ist ebenso unkonform wie sie. Sie recherchiert für einen Familienstammbaum und findet die wahre Geschichte ihres Vaters und seiner Familie raus.


    Das Buch ist spannend, erschütternd und dabei auch komisch. Es rüttelt auf, hinterfragt und regt zum Nachdenken an. Mir stellt sich die Frage wieviel hat sich in den letzten 60-70 Jahren geändert. Die Antwort ist noch immer nicht genug, und die Verbesserungen vieler ethischer Standpunkte hat sich nur punktuell in einigen Gesellschaften geändert. Der Großteil der Welt ist noch tief in den 1950ern verwurzelt.


    Frauen in der Forschung haben es nach wie vor oft schwer. Manche Religionen negieren nach wie vor grundlegende Rechte für Frauen.

    Das Buch über eine starke Frau ist kein Buch für Frauen allein, ich finde vor allem Männer sollten es lesen und darüber nachdenken, wie sie sich teilweise nach wie vor verhalten.



    -------



    Aufregen werdet ihr euch sicher, gleich am Anfang, es geht grausam und ungerecht zu, aber die Entwicklung ist interessant.

    Ich habe irgendwo gelesen, das Buch sei sehr amerikanisch. Nun ja was soll es sonst sein Timbuktanisch, wenn sowohl die Autorin als auch das Setting die USA sind.

    Den Plot habe ich in groben Zügen umschrieben, es gibt noch viel mehr storylines, aber ich finde, die sollte jeder selber lesen und es sollte nichts vorweggenommen werden.

    Ich habe das Buch ja im Original gelesen, in der dt. Version finde ich das Cover viel schöner und auch so, dass es mehr Tiefe impliziert. US Covers sind oft schrill und passen gar nicht, dieses Thema hatten wir aber schon mal im “Mutterforum”.

    Elizabeth Zott wird so lebendig beschrieben, dass ich das Gefühl hatte da gibt es ein reales Vorbild für die Protagonistin.

    Ich finde auch die Art und Weise wie sie die Tochter erzieht interessant. Das Ergebnis der Chemie zwischen ihr und Calvin.

  • Ich habe dieses Buch auch sehr gern gelesen, aber als "Quasi-Insider" eventuell teilweise etwas anders als die meisten.

    Doch, es hat sich durchaus Einiges getan - jedenfalls ist Diskriminierung da, wo es sie noch gibt, um Einiges subtiler geworden und kommt sicherlich schon lange nicht mehr so mit dem Holzhammer daher - sie ist aber eventuell dadurch auch schwerer zu entdecken. Die Chance, als Frau in der Forschung bis "ganz nach oben" zu gelangen, gibt es jedenfalls heute durchaus - die persönlichen Opfer, die dafür gebracht werden müssen, sind aber auch heute noch größer als bei den meisten Männern (und es darum leider auch nicht allen Geeigneten wert).

    Elizabeth Zott ist in (fast) jeder Hinsicht eine sehr glaubhafte und erfrischende Figur; es würde zwar keine echte erwachsene Chemikerin ihren Wasserhahn mit "H2O-Quelle" beschriften ^^ - ihren Kaffee wie beschrieben zubereiten aber durchaus.

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Ich kann mich den positiven Bewertungen nur anschließen. Im letzten Urlaub habe ich das Buch an zwei Tagen "verschlungen".

    Es mag alles etwas plakativ und übertrieben dargestellt sein in der Geschichte, was jedoch in keinerweise den Unterhaltungswert schmälert. Im Gegenteil, ich habe mich sehr über Elizabeth Zott in ihrer TV-Kochshow amüsiert.

    Das Cover der deutschen Ausgabe finde ich auch etwas blass, so blass ist Frau Zott nicht, sie hätte mehr Wums verdient.


    Ein Lesehighlight in 2022


    5ratten

  • Alles Leben ist Chemie - sogar die Schlamassel!

    Was für eine packende Geschichte!


    Charmant und mit viel Sinn für Humor erzählt Bonnie Garmus die Geschichte von Elizabeth Zott: talentierte Chemikerin, Atheistin und überzeugte Feministin.

    In den 1960iger Jahren war diese kämpferische Einstellung eine fast verbotene Seltenheit, völlig unweiblich und auf alle Fälle die Garantie für ein kompliziertes Leben.


    Anstatt in einem Labor zu arbeiten (Frauen können das schließlich nicht!), moderiert sie die Kochsendung „Essen um sechs“. Aber das macht sie in ihrem eigenen, sehr wissenschaftlichen Stil: Kochen wird zu Chemieunterricht und unkonventionelle Lebenshilfe sowie eine gute Portion Lebensmut gibt es auch gleich dazu. Schließlich bedeutet Chemie ja Veränderung!


    Elizabeths Leben ist alles andere als einfach, manchmal traurig, oft ungerecht, aber die Geschichte ist keineswegs deprimierend. Ganz im Gegenteil! Die Autorin versteht es, so bezaubernd lebendig und mitreißend zu erzählen, dass mir Elizabeth, ihre kluge Tochter, die Nachbarin und vor allem Halbsieben sofort ans Herz gewachsen sind.


    Viel zu schnell waren die 457 Seiten gelesen und auch wenn mir das Ende eindeutig zu märchenhaft-kitschig war, so hoffe ich doch auf eine rasche Fortsetzung.

    Lesenswert!


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Vernunft, Vernunft...

  • Ich habe das Buch kürzlich als Hörbuch gehört und war komplett begeistert. Es ist ein sehr unterhaltsames Märchen, schon am Jahresanfang ein Jahreshighlight.


    Was das Cover angeht, schließe ich mich den Meinungen oben an, es wird dem Buch nicht gerecht. Es hat mich nicht die Spur neugierig gemacht. Aufgehorcht habe ich erst als ich eine Buchempfehlung in einem feministischen Blog las.


    Es ist eines dieser Bücher, die man im Regal haben möchte. Ich werde mir das TB kaufen, sobald es raus ist.

  • Wenn ich das noch wüsste. Ich lese ziemlich viele Blogs, fast ausschließlich auf Telegram und auf Russisch. Vorhin habe ich nach dem Beitrag gesucht, ohne Erfolg. Das Buch erscheint demnächst in Russland, daher bekommt es jetzt schon einige Aufmerksamkeit.

    Kein Problem, hatte mich nur interessiert. :)

  • Als ich den Roman "Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus jetzt endlich komplett gelesen habe (innerhalb von eineinhalb Tagen) habe ich mich gefragt, warum ich ihn nicht direkt beim ersten Versuch vor einem Jahr beendet habe. Denn der Roman hat ja eigentlich viele Details, die ein gelungenes Leseerlebnis versprechen: eine sympathische und ungewöhnliche Protagonistin, Schwierigkeiten, die von ihr überwunden werden müssen und die Aussicht auf ein Happy End - dass mir dieses am Ende am wenigsten gefallen hat ist kein Grund, den Roman nicht weiter zu empfehlen.


    Nachdem man die Protagonistin Elizabeth Zott kennengelernt hat, und das mit allen Problemen, die einer Chemikerin Anfang der 1950er Jahre entgegenschlagen können, wird sie relativ schnell Teil eines Duos - sie lernt den Chemiker Calvin Evans kennen, der ein ungewönliches Exemplar eines Mannes seiner Zeit ist: er akzeptiert Elizabeth (weitgehend) als die Person, die sie nunmal ist, und will sie nicht, nur weil sie eine Frau ist, unterdrücken. Das ist zwar sympathisch, aber gleichzeitig war das der Punkt, an dem ich bei der ersten Lektüre hängengeblieben bin - ich hatte etwas anderes erwartet, das war mir etwas zu viel Zuckerguss auf der Geschichte.


    Hätte ich mal direkt weitergelesen: Elizabeth wird zur alleinerziehenden Mutter ihrer Tochter, woraus sich natürlich auch die Notwendigkeit einer Berufstätigkeit ergibt, und damit beginnt ihre Karriere als Fernsehköchin. Hier begann für mich die wesentliche Handlung, gerade auch im Zusammenspiel mit den anderen Figuren des Romans, vor allem Harriet, die sie als Babysitterin und gute Freundin unterstützt, und Walter Pine, ihrem Chef, der oft eine unglückliche Figur abgibt. Ab hier wird dann nämlich auch Elizabeths Kampf dafür, Frauen als gleichwertig anzusehen, deutlich, den sie - wie vieles andere auch - aus der Chemie erklärt:

    Zitat

    "Deshalb wollte ich Essen um sechs nutzen, um Chemie zu unterrichten. Denn wenn Frauen Chemie verstehen, begreifen sie zunehmend, wie alles zusammenwirkt."

    Roth blickte verwirrt.

    "Ich spreche von Atomen und Molekülen, Roth", erklärte sie, "Den wahren Regeln, die die physikalische Welt bestimmen. Wenn Frauen diese grundlegenden Konzepte verstehen, können sie allmählich die falschen Grenzen erkennen, die ihnen auferlegt worden sind."

    "Sie meinen, von den Männern."

    "Ich meine, durch künstliche kulturelle und religiöse Normen, die Männer in die extrem unnatürliche Rolle einer allein auf ihrem Geschlecht basierenden Führungsposition gedrängt haben. Schon ein simples Verständnis der Chemie macht die Gefahr einer solch einseitigen Betrachtungsweise deutlich." (S. 391)

    Und genau das ist für mich eine der großen Stärken des Romans: trotz der deutlich feministischen Tendenzen handelt es sich nicht um eine Streitschrift aus der Sicht einer Frau, sondern um eine wissenschaftlich fundierte Argumentation, die eigene Sichtweise zu überdenken. Dass der Roman darüber hinaus gerade im zweiten Teil immer wieder sehr lustig ist, erscheint mit als zusätzliches Plus:

    Zitat

    Natürlich hatte er vor, Amanda in absehbarer Zeit die Wahrheit zu sagen: dass er und sie biologisch nicht verwandt waren und dass ihre niederträchtige Mutter nie zurückkommen würde. Adoptierte Kinder hatten ein Recht auf die Wahrheit. Er wartete nur auf den richtigen Moment.

    Ihren vierzigsten Geburtstag. (S. 305)

    Walter Pine, der hier als manchmal überforderter, aber liebender Vater erscheint, ist in gewisser Weise das Gegenstück zur sehr bestimmten Elizabeth Zott: oft zögernd und unsicher, aber immer bemüht, damit auch gerade kein typischer Mann seiner Zeit.

    Elizabeth Zott ist eine tolle Protagonistin, gerade weil sie neben ihrer unbestechlichen, wissenschaftlichen Denkweise auch kleine menschliche Fehler und Schwächen hat, sie ist eben kein Ideal, sondern ein einfühlsam geschilderter Mensch.


    Gerade wegen der eindeutigen Stärken des Romans war ich vom Ende enttäuscht, das war mir definitiv zu viel Happy End, Auflösung aller Probleme und zu viel Zuckerguss - und vor allem stellt sich am Ende die Frage, ob Elizabeth nun endlich wegen ihrer wissenschaftlichen Verdienste gewürdigt wird, oder nur wegen der verwandtschaftlichen Bindungen - damit bleibt die Enttäuschung, dass man dieser Frau keine eindeutige Würdigung zuteil werden lässt.


    4ratten

  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Bonnie Garmus - Eine Frage der Chemie“ zu „Bonnie Garmus - Eine Frage der Chemie/Lessons in Chemistry“ geändert.
  • Als aufstrebende, ehrgeizige Chemikerin hat es Elizabeth Zott nicht leicht. Zu Beginn der 50er Jahre werden Frauen in wissenschaftlichen Berufen kaum ernst genommen und sind überdies Freiwild für übergriffige Kollegen und Vorgesetzte, und ihre Erfahrungen bilden da keine Ausnahme. Sie weiß genau, was sie kann und dass sie so manchem männlichen Kollegen weit überlegen ist, aber in ihrem Forschungsinstitut wird sie eher wie eine bessere Sekretärin behandelt, was sie regelmäßig zur Weißglut bringt. Genau diese Wut treibt sie an, als sie ins Labor eines Kollegen stürmt, um sich dort eigenhändig das dringend benötigte Material zu besorgen, das ihr auch beim x-ten offiziellen Antrag nicht zugeteilt worden ist. Dass Calvin Evans einerseits als genialer Kopf und andererseits als nachtragender Eigenbrötler gilt, stört sie wenig, auch wenn der reagiert, wie vorherzusehen war.


    Einige Jahre später ist Elizabeth alleinerziehende Mutter der vierjährigen Madeline, die für ihr Alter auffallend klug ist und in der Vorschule immer wieder aneckt, weil sie intellektuell so viel reifer ist als die anderen Kinder und, ganz die Mama, beherzt alles hinterfragt. Als Elizabeth mal wieder in die Schule zitiert wird, weil es Ärger gegeben hat, trifft sie dort auf Walter Pine, Vater von Madelines aktueller Kontrahentin und TV-Produzent, der verzweifelt nach einem Lückenfüller fürs Nachmittagsfernsehen sucht. er hat mitbekommen, dass Elizabeth großen Wert auf gute Ernährung und frisch zubereitete Mahlzeiten legt, und will sie für eine Kochshow engagieren. Ausgerechnet mit einem typischen Hausfrauenthema ins Fernsehen zu gehen ist so gar nicht das, was Elizabeth sich erträumt hat, aber das Geld ist permanent knapp im Hause Zott, weil sie keine vernünftige Anstellung mehr findet, und so willigt sie zähneknirschend ein.


    Die Sendung wird zu einem Überraschungserfolg, nicht zuletzt, weil die stets kompromisslose Elizabeth sich einen Dreck um die klischeehaften Vorgaben des Senders schert und ihre Plattform nutzt, nicht nur Küchenwissen zu vermitteln, sondern auch die Chemie, die hinter den Prozessen beim Kochen steckt - und den (Haus)Frauen im Publikum Mut zuzusprechen, ihren eigenen Weg zu gehen.


    Elizabeth hat es nie leicht gehabt in ihrem Leben, weder in ihrer Familie noch im beruflichen Umfeld zu einer Zeit, in der man Frauen, die Karriere machen wollten, misstrauischst beäugt hat, denn weibliche Wesen sollten sich lieber um Haushalt und Familie kümmern, adrett aussehen und ansonsten tunlichst die Klappe halten. Gar nicht Elizabeths Ding, die sich leidenschaftlich gerne der Chemie widmen wollte und sich kräftig gegen Missstände und Übergriffe zu wehren versucht, leider häufig ohne ernst genommen zu werden. Auch aus heutiger Sicht kommt sie dabei nicht immer sympathisch rüber und kann manchmal auch gegenüber ihr wohlgesonnenen Menschen spröde und verbissen wirken, andererseits ist ihre Einstellung angesichts dessen, was sie schon alles erlebt hat, durchaus nachvollziehbar.


    Bonnie Garmus erzählt Elizabeths Geschichte zweigleisig, mit vielen Rückblenden in die Vergangenheit, aus denen sich nach und nach ein Gesamtbild zusammensetzt, das die Leserin mit der Zeit ihr Urteil über Elizabeth neu überdenken lässt. Es kommt einiges an Tragik und unschönen Erfahrungen zusammen, aber es gibt auch viel bissigen Humor und zündende Dialoge, sowohl mit Elizabeth selbst als auch ihrer ebenfalls nicht auf den Mund gefallenen Tochter. Ganz witzig auch, dass man die Szenerie hin und wieder aus der Perspektive von Elizabeths Hund mit dem klingenden Namen "Six-Thirty" erlebt.


    Teile der Handlung waren mir ein bisschen zu melodramatisch, und die arg gescheite Madeline hat mich irgendwann ziemlich genervt. Hochbegabung in allen Ehren, aber eine Vierjährige, die Norman Mailer liest, war mir doch ein bisschen "drüber".

    Als Stimmungsbild der damaligen Zeit und als Entwicklungsroman über eine Frau, die die Konventionen ihrer Zeit sprengen möchte, hat mir das Buch insgesamt jedoch gut gefallen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen