Daniel Glattauer - Die spürst du nicht

Es gibt 33 Antworten in diesem Thema, welches 1.501 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Juva.

  • Daniel Glattauer - Die spürst du nicht


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Gebundene Ausgabe: 304 Seiten

    Verlag: Paul Zsolnay Verlag (20. März 2023)

    ISBN-13: 978-3552073333

    Preis: 25,00 €

    auch als E-Book und Hörbuch erhältlich


    In Ironie und Sarkasmus verpackte Gesellschaftskritik


    Inhalt:

    Die Strobl-Marineks und die Binders, zwei angesehene Wiener Familien, wollen zusammen ein paar Tage in der Toskana verbringen. Tochter Sophie Luise darf ihre Freundin Aayana mitnehmen, ein somalisches Flüchtlingsmädchen. Doch ein großes Unglück bereitet dem Urlaub schnell ein Ende …


    Meine Meinung:

    Daniel Glattauer versteht es, heiße Themen mit Leichtigkeit anzupacken. In diesem Roman steckt jede Menge geballte Gesellschaftskritik, die er der Leserschaft mit einer bewegenden und auch spannenden Story vermittelt. Dabei sprüht die Erzählung nur so von Wortwitz, Ironie, Sarkasmus und Zynismus. Aus wechselnden Perspektiven der Beteiligten werden wichtige Fragen beleuchtet, zum Beispiel die Frage nach dem Umgang mit Schuld oder dem Wert eines Menschenlebens.


    Die Handlung an sich ist eigentlich niederschmetternd, doch durch den lockeren Schreibstil lassen sich auch die schlimmsten Szenen gut ertragen. Aufgelockert wird das Ganze durch Zeitungsberichte, Postings in Online-Foren und SMS, wodurch auch gut der Zeitgeist abgebildet wird.


    Mir hat dieser Roman - wie die meisten des Autors - ausgesprochen gut gefallen. Die Gratwanderung zwischen Anspruch und Humor finde ich absolut gelungen. Das Lesen hat Spaß gemacht und die beschriebenen Ereignisse werden mich gedanklich sicher noch länger beschäftigen.


    Fazit:

    Leseempfehlung!


    ★★★★★

  • Oh ja, so völlig ohne Sinn und Verstand!


    Das Buch hört sich aber gut an.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich kenne bisher nur "Gut gegen Nordwind" von ihm, das gefiel mir gut.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Die Rezension klingt spannend, danke! Ich habe das Buch am Samstag gekauft (auch, weil ich "Gut gegen Nordwind" und "Alle sieben Wellen" gerne mochte), jetzt wandert es auf dem Stapel der zu lesenden Bücher direkt etwas weiter nach oben.

  • "Der Weihnachtshund" hat mir auch gut gefallen, nicht so kitschig wie viele Weihnachtsgeschichten. "Ewig dein" war auch gut.

    Eigentlich müsste ich bald noch mal was lesen von Glattauer...

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Das Buch liegt auch schon (seit heute) auf meinem SuB.... es ging einfach nicht anders!


    Danke für Deine Rezi - jetzt bin ich noch neugieriger auf dieses Buch! ;)

    Vernunft, Vernunft...

  • warum kommt mir das nicht so ..... verdammt bekannt vor??? ^^

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Realitätsnah!


    Familie Binder und Familie Strobl-Marinek fährt wie jedes Jahr zu einem gemeinsamen Urlaub in die Toskana. In diesem Jahr ist eine Freundin von der vierzehnjährigen Sophie Luise mit von der Partie.

    Aayana lebt noch nicht lange in Wien, sie ist mit ihrer Familie aus Somalia geflüchtet. Schon am ersten Abend kommt es zu einer Katastrophe, denn Aayana ertrinkt im Pool des Ferienhauses.

    Schuldzuweisungen werden hin und her gewälzt und wer informiert überhaupt Aayanas Eltern und ihren Bruder?


    Wer den Schreibstil von Daniel Glattauer kennt, weiss, dass er viele Facetten hat. Rabenschwarz, sarkastisch und oft bitterböse ist die Klassierung, die mir spontan nach der Beendigung von "Die spürst du nicht" einfällt.


    Das Unglück, das die teilweise überheblichen Familienmitglieder an ihrem Ferienort ereilt, ist furchtbar. Ein junges Mädchen ertrinkt und die beaufsichtigungspflichtigen Erwachsenen reden dieses Unglück klein und versuchen alles, um zu vergessen. Immer mit dem Gedanken, was "die Anderen" von ihnen denken. Daniel Glattauer hat ein Gespür dafür, die Figuren überspitzt zu charakterisieren, jedoch nur gerade so viel, dass man zwar den Kopf über sie schüttelt, jedoch nie das Gefühl hat, dass hier überkonstruiert wurde. Sarkastisch eingeworfene Passagen, wie zum Beispiel "Paradies der wohlsituierten Individualtouristen" für die Toskana, haben mich schmunzeln lassen. Teilweise musste ich Sätze zweimal lesen, um den oft bitterbösen Humor darin zu erfassen.

    Das Unglück lässt tief in die Familien Binder und Strobl-Marinek blicken. Nach dieser Ausnahmesituation sieht man nämlich hinter die Fassade und erhascht einen Blick in die Familienkultur und ihrer Mitglieder.


    Da ist Sophie Luise, die sehr verwöhnte Tochter der Strobl-Marineks, die dem bedauernswerten Mädchen aus Somalia einmal zeigen wollte, wie Urlaub geht und damit mindestens um 20 Follower auf den Social-Media-Kanälen reicher ist. Sie zerrt eine Weile an dem Unglück ihrer Mitschülerin, denn sie trägt nun eine diffuse Trauer in sich. Sophie Luise macht eine enorme Wandlung durch und hat mich dann doch noch positiv überrascht.


    Dann ihre Mutter, die politisch am Ruder ist und so ein Unglück natürlich momentan, kurz vor den Wahlen, nicht gebrauchen kann. Irgendwann standen sie alle komplett entblösst da und man fragt sich, wo die Leute ihr Gewissen haben?


    Der Fokus liegt darauf, was nach dem Urlaub und dem Unglück geschieht und es geraten einige Steine ins Rollen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Daniel Glattauer zeichnet das Bild einer Gesellschaft, das leider sehr authentisch ist. Hasskommentare im Netz, zwei Familien, die Anwälte einschalten, um das loszuwerden, was geschehen ist: die Schuld am Tod eines jungen Mädchens, das als Flüchtlingskind nicht denselben Stellenwert hat wie ein "echtes" Wiener Kind.


    Zeitweise hätte ich brüllen können von soviel Selbstbetrug, Ignoranz und Verlogenheit. Zeitweise war ich einfach nur fassungslos in dem Wissen, dass genau solche Denkmuster auch in der realen Welt an der Tagesordnung sind. Emotional sehr hergenommen hat mich, als die Mutter von Aayana erzählt, wie sie geflüchtet sind. Ich hoffe, dass diese Geschichte all die lesen, die denken, dass Menschen nur aus Bequemlichkeit Asyl suchen.


    4ratten

  • Eine Politikerin der Grünen und ein bekannter Winzer sind gemeinsam mit Freunden und Familie auf Urlaub in der Toskana - mit dabei auch eine Freundin der Tochter, ein Flüchtlingsmädchen aus Somalia. Sie würde gerne schwimmen lernen, was sich im Pool der Villa natürlich anbietet. Doch dann passiert etwas schreckliches: Sie ertrinkt unbemerkt.

    Das Thema an sich ist ein sehr kontroverses und spannendes: In der Obhut von österreichischen Familien, die der Oberschicht angehören, stirbt die Tochter einer Flüchtlingsfamilie. Menschlich gesehen eine Katastrophe für alle Beteiligten, da durch so einen Unfall natürlich psychische Folgen entstehen, insbesondere bei den Eltern des verstorbenen Mädchens. Die somalische Familie spielt allerdings vorerst keine sonderlich große Rolle in dem Buch. Es geht primär darum, wie die grüne Politikerin und ihre Tochter mit der Situation umgehen. Gerade die Tochter leidet sehr darunter und sucht sich Hilfe im Internet.

    Immer wieder werden Zeitungsausschnitte abgedruckt mit den dazugehörigen Onlinekommentaren. Wer die Kommentare vom Standard kennt: Ja, genau solche. Es wird also diskutiert, ob ein Flüchtling weniger wert ist als ein Österreicher, ob die Politikerin damit ihrer Karriere schadet (soll sie gar zurücktreten?), usw. Teilweise ist das wirklich sehr amüsant und so richtig aus dem Leben gegriffen. Besonders passend auch der oe24 Artikel, der natürlich gleich mal hetzt.

    Ich finde, dass die österreichische Mentalität sehr gut ausgedrückt wird - nicht unbedingt immer eine, auf die man stolz sein kann, aber die Darstellung ist einfach realistisch. Auf der einen Seite ist da eine Spur Rassismus - oder nennen wir es Angst vor dem Fremden - auf der anderen Seite, weiß man, dass das falsch ist. Und Politiker müssen sowieso immer zurücktreten, egal was in deren Leben passiert.

    Anfangs habe ich mir leider mit dem Schreibstil etwas schwer getan. Es beginnt mit einer Beschreibung des Schauplatzes und der Personen, das war mir etwas zu sachlich. Es hat etwas gedauert, bis Emotionen (abgesehen vom Schmunzeln über die Kommentare zu den Zeitungsartikeln) vermittelt werden konnten. Während des Lesens war ich mir oft nicht sicher, ob ich das Buch mag, jetzt nach dem Lesen bin ich mir sicher, dass ich es mochte. Aber es ist keins von den Büchern, in denen man sich verliert und von denen man hofft, dass sie nie enden.

    Das Buch ist jedenfalls empfehlenswert und öffnet vielleicht dem ein oder anderen die Augen, was Vorurteile betrifft beziehungsweise lässt über die Dinge nachdenken, die man doch eigentlich eh weiß (wir sind alle nur Menschen, egal woher).


    4ratten

  • Ich habe das ich gerade begonnen und hatte mich im Vorfeld über den auf mich etwas sperrig wirkenden Titel gewundert. Der betreffende Satz fällt im Buch aber schnell und es wird klar, dass "die spürst du nicht" sowas meint wie "das geflüchtete Mädchen bemerkt man nicht; es stört nicht".


    Ich habe die Formulierung so noch nie gehört. Ist das ein österreichischer Ausdruck?

  • Ich bin Österreicherin - ja, das sagt man bei uns tatsächlich vor allem über Kinder, die sich brav und unauffällig verhalten. Beim Lesen habe ich mir einige Male gedacht, dass für nicht in Österreich sozialisierte Lesende wohl einige feine Seitenhiebe durchrutschen. Ich muss marimirl Recht geben: Die österreichische Seele ist wirklich gut getroffen. Allein schon die Foren-Kommentare und die Beschreibung der Charaktere ... ich bin SICHER einige Vorbilder der Personen zu "kennen" :D

  • Beim Lesen habe ich mir einige Male gedacht, dass für nicht in Österreich sozialisierte Lesende wohl einige feine Seitenhiebe durchrutschen.

    Mit Sicherheit. Mir sind einige Austriazismen aufgefallen; manches hat mich zuerst etwas irritiert. Zum Beispiel, dass es "Ich werde geklagt" statt "Ich werde angeklagt" heißt.

  • Beim Lesen habe ich mir einige Male gedacht, dass für nicht in Österreich sozialisierte Lesende wohl einige feine Seitenhiebe durchrutschen.

    Mit Sicherheit. Mir sind einige Austriazismen aufgefallen; manches hat mich zuerst etwas irritiert. Zum Beispiel, dass es "Ich werde geklagt" statt "Ich werde angeklagt" heißt.

    Aber das ist doch ganz normal 🤷‍♀️😅 (wobei ich eher sagen würde: ich werde verklagt)

  • Ich kenne den Ausdruck schon, also ja, vielleicht ist das österreichisch.

    Bei uns könnte man den Ausdruck in der Variante "die merkst du (gar) nicht" hören. "Merken" wird hier gerne mal synonym mit "bemerken" benutzt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen