Dörthe Binkert - Weit übers Meer

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  • Dörthe Binkert: Weit übers Meer - Roman


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    Dörthe Binkert: Weit übers Meer – Roman, München 2008, dtv Deutscher Taschenbuch-Verlag, ISBN 978-3-423-24693-4, 235 Seiten, Softcover, Format: 13,5 x 21 x 2,6 cm, EUR 14,90 (Deutschland), EUR 15,40 (Österreich), sFr 25,80 (Schweiz)


    „Frau überquert Ozean auf einem Dampfer – in einer Abendrobe ohne ein weiteres Kleid“ stand am 3. August 1904 in der New York Times. Diese Meldung, die damals um die Welt ging, ist der wahre Kern des vorliegenden Romans. Die rätselhafte Dame in Weiß wurde auf dem Ozeandampfer „Kroonland“ entdeckt, der von Antwerpen nach New York fuhr. Sie war ohne Papiere, ohne Geld und ohne Gepäck unterwegs, obwohl sie über ein regelmäßiges Einkommen verfügte. Wie und warum sie an Bord gegangen war, hat man nie erfahren. Diese 100 Jahre alte Pressemeldung faszinierte die Schriftstellerin Dörthe Binkert, und sie beschloss, der geheimnisvollen Reisenden eine Geschichte zu geben.


    Sonntag, 24. Juli 1904. Der Ozeandampfer „Kroonland“ hat soeben Dover passiert, nun geht es ohne weiteren Halt bis nach New York. Da verlangt eine junge, attraktive und vornehme Dame im sündteuren weißen Seiden-Abendkleid den Kapitän zu sprechen. Sie stellt sich als Valentina Meyer vor und gesteht dem verdutzten Kapitän, in Antwerpen als blinde Passagierin an Bord gegangen zu sein. Sie habe kein Gepäck und keinen Pfennig Geld dabei, sei aber von Haus aus vermögend und würde selbstverständlich im Nachhinein die Überfahrt bezahlen. Und sie gibt ihm ihre wertvollen Diamantohrringe als Pfand.


    Nicht ganz ohne Hintergedanken sichert ihr der Kapitän zu, die Angelegenheit diskret zu regeln und ihr für die Dauer der Überfahrt eine Erste-Klasse-Kabine zur Verfügung zu stellen. Da die Kleiderordnung an Bord es verbietet, sich tagsüber in Abendgarderobe zu zeigen, kann Valentina ihre Kabine nur am Abend verlassen.


    Diskretion hin, „Hausarrest“ her – die Nachricht von der schönen blinden Passagierin verbreitet sich wie ein Lauffeuer an Bord. Ist sie tatsächlich eine gesuchte Juwelendiebin, wie gemunkelt wird? Oder eine Kurtisane? Oder ist es doch eher so, wie das blutjunge Schiffszimmermädchen Lotte vermutet: dass die vornehme Dame von ihrem bisherigen Leben davongelaufen ist.


    Die Tatsache, dass hier jemand ganz spontan sein bisheriges Leben hinter sich gelassen hat, aus welchem Grund auch immer, bringt so manch einen der Passagiere ins Grübeln. Ist so ein deutlicher Schlussstrich, so skandalös er auch sein mag, nicht ein ehrlicher Befreiungsschlag, eine mutige Tat? Mutiger auf jeden Fall, als sich mit einer trost- und hoffnungslosen Situation zu arrangieren und still zu leiden, nur weil die Konvention es so fordert. Und: Hätte man selbst den Mut zu so einer radikalen Veränderung?


    Das Klima an Bord so eines Ozeandampfers begünstigt derlei Gedankengänge: „Hier aber, auf dem Ozean (...) herrschte bei aller Ordnung, die die Mannschaft aufrechterhielt, ein Ausnahmezustand, den niemand ausgerufen hatte und den doch jeder spürte. Als sei es den Menschen bewusst, das sie mit diesem Schiff untergehen könnten, sehnten sie sich mehr denn je nach dem Leben. Ihre Zweifel, Ängste und Sehnsüchte traten deutlicher hervor als an Land.“ (Seite 163)


    Und so hinterfragen die Menschen an Bord ihr bisheriges Leben, werden sich ihrer Wünsche, ihrer Unfreiheit und ihrer Sehnsüchte bewusst.


    Da ist Maria Vanstraaten, Mutter dreier Kinder, verheiratet mi8t einem lieblosen, grausamen Mann. Als sie über das Schicksal der blinden Passagierin nachdenkt, wird ihr auf einmal klar, wie unglücklich sie selbst ist. Valentina Meyer hat alle Bürden abgeworfen und ist frei. Sie kann sie selbst sein. Maria Vanstraaten wagt das nicht. Ihr ist bewusst, dass man die Freiheit teuer bezahlen muss, mit allem, was einem lieb und wert ist. In ihrem Fall wären es die Kinder. Und dieser Preis ist ihr zu hoch.


    Und Monsieur Vanstraaten? Ein desillusionierter, strenger, ja brutaler Mann, der früh seine eigenen Träume begraben musste und nun alle Wünsche und Pläne aus seinen Kindern herausprügelt, um sie nur ja zu pflichtbewussten, charakterstarken Menschen zu erziehen. Die schöne Valentina Meyer erinnert ihn für einen Augenblick an seine alten, längst verlorenen Träume von der Liebe: „Ein wehmütiger Moment. Aber damit muss man leben. Die Träume gehören heute der Technik, der Wissenschaft. Der Zukunft. Das menschliche Glück ist nur eine zufällige Erscheinung, eine Illusion, und das Streben danach ist nur eine Eingebung unserer Schwäche.“ (Seite 145)


    Da ist das belgische Fabrikanten-Ehepaar Borg, gefangen in einer lieb- und kinderlosen Ehe, einer Zweckgemeinschaft, die ihren Zweck nicht erfüllt hat und im Grunde auch längst keine Gemeinschaft mehr ist, sondern allenfalls ein schweigendes gemeinsames Bewohnen derselben Räumlichkeiten.


    Henriette Borg ist zutiefst beunruhigt über Frauen wie Valentina Meyer, „die aus der normalen Ordnung fallen“ und einfach tun, was sie wollen. Und ihrem Mann, Willem Borg, wird angesichts der attraktiven Valentina plötzlich bewusst, „dass ich nicht mehr wirklich lebe, vielleicht nie gelebt habe, dass ich mein Leben nur verwalte, bis es eines Tages zu Ende sein wird.“ (Seite 38)


    Wenn allein der Anblick der blinden Passagierin solche Gedanken und Gefühlsaufwallungen auslöst, wie ergeht es dann erst denen, die mit ihr persönlichen Kontakt haben?


    Da wäre ihr Kabinennachbar Henri Sauvignac, ein Bildhauer aus Antwerpen, der auf dem Weg zur Weltausstellung nach St. Louis ist, wo ein paar seiner Werke ausgestellt werden. Er vermisst seine Geliebte, die Kunststudentin Lisette, die ihn verlassen hat, nachdem er sich geweigert hatte, sie zu heiraten. An Bord beginnt er eine Affaire mit Billie Henderson, einer etwas naiven Verkäuferin aus Philadelphia, die mit einem weiteren Mitreisenden liiert ist, dem verheirateten Geschäftsmann William Brown.


    Henri Sauvignac hat das Leben immer genommen wie es kam und sich nie viele Gedanken über die Zukunft gemacht. In Valentinas Lebensgeschichte, die er so nach und nach von ihr erfährt, entdeckt er eine erschreckende Parallele zu seinem eigenen Leben. Und nun weiß er, was er zu tun hat ...


    Den bei weitem stärksten Einfluss hat Valentina Meyers Anwesenheit auf das Leben des amerikanischen Geologen Thomas Witherspoon und das seiner etwas altjüngferlichen Schwester Victoria, mit der er gemeinsam reist. Victoria hat nach dem Unfalltod ihrer Mutter ihren zehn Jahre jüngeren Bruder großgezogen und versucht seither, ihn vor allen Gefahren zu beschützen. Auch vor denen, die die Liebe und ein eigenständiges Leben mit sich bringen.


    Eines jedoch kann Victoria nicht verhindern: dass Thomas und Valentina sich auf den ersten Blick ineinander verlieben. Wären wir auf dem „Traumschiff“, kämen nun die Geigen das Happy End. Aber diese Geschichte hier ist ungleich näher am Leben. Valentina ist nicht frei, sie ist, wenn auch unglücklich, verheiratet. Thomas ist in gewisser Weise auch nicht frei. Er fühlt sich seiner Schwester verpflichtet, die ihm das Leben gerettet und seinetwegen auf eine eigene Familie verzichtet hat. Thomas ist zu ihrem Lebensinhalt geworden, und er wagt nicht, sie im Stich zu lassen. Jetzt hat er ein ernsthaftes Problem, denn in Valentina hat er die Frau gefunden, mit gegen alle Widerstände sein Leben verbringen will.


    Zwischen den Geschwistern Witherspoon kommt es erstmals in ihrem Leben zu einem heftigen Streit. Es fallen deutliche Worte – mit dramatischen Folgen.


    Wird es Valentina und Thomas gelingen, in den USA gemeinsam ein neues Leben anzufangen? Wird Victoria Witherspoon lernen, ihren Bruder loszulassen und ihr eigenes Leben zu führen? Welche Konsequenzen ziehen die Mitreisenden aus den Gedanken, die sie sich auf der Überfahrt über ihr eigenes Schicksal gemacht haben?


    Nicht zu vergessen: Was hat denn nun Valentina Meyer – oder richtig: Valentina Gruschkin – bei Nacht und Nebel veranlasst, im Abendkleid und ohne Geld als blinde Passagierin an Bord eines Überseedampfers zu schleichen? Doch diese tragische Geschichte soll sie Ihnen am besten selbst erzählen ... im Buch.


    Nein, eine Reise mit dem „Traumschiff“ ist WEIT ÜBERS MEER gewiss nicht. Im Hinblick auf die Beziehungen der Menschen untereinander ist es sogar ein regelrechtes Alptraumschiff. Und das Erschreckende daran: Diese Schicksale sind nicht gar nicht so untypisch für die damalige Zeit: Man heiratet irgend jemanden, der von Stand, Vermögen und Ansehen zu einem passt und lebt, wenn es dumm läuft, fortan sprachlos nebeneinander her. Von Liebe ist dabei keine Rede.


    Für die Männer mag das noch erträglich sein, wie man an den Geschichten im Buch sieht. Sie können sich das, was ihnen zu Hause fehlt, in aushäusigen Beziehungen suchen, doch die Frauen haben so gut wie keine Alternative. Passt es nicht mit der Partnerwahl, hat man quasi lebenslänglich. Wer noch andere Vorstellungen vom Leben hat, muss es machen wie Valentina: alles zurücklassen und außerhalb der guten Gesellschaft von vorne anfangen. Nur Außenseiterinnen gelingt es, ein eigenständiges Leben zu führen.


    Berchthild Klöppler, die Modeschöpferin, die auf der „Kroonland“ mit ihrer Kollektion von Reformkleidern nach New York unterwegs ist, bezahlt einen anderen Preis für ihr selbstbestimmtes Leben: dem Ruf der verschrobenen, politisch radikalen alten Jungfer. Heute würde man sie vermutlich „Emanze“ schimpfen.


    Vielleicht schafft es doch eine der Reisegefährtinnen Valentinas, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten: Die intelligente 16-jährige Lily Mey aus Wien, die als interessierte Beobachterin meist etwas abseits des Geschehens in ihrem Rollstuhl sitzt und sich über Gott und die Welt Gedanken und Notizen macht. Sie möchte gerne Physik studieren und dann Schriftstellerin werden. Sie rechnet sich gute Chancen aus, denn, wie sie ganz unsentimental bemerkt: Als Frau mit einer körperlichen Behinderung ist sie auf dem Heiratsmarkt ohnehin nicht gefragt. Lily Mey hat den Preis für ein selbstbestimmtes Leben gewissermaßen schon im voraus bezahlt.


    Man kann das Buch als berührende Liebesgeschichte und als fesselndes Familiendrama lesen. Aber es ist mehr als das. Es ist ein Sittengemälde aus der Zeit vor 100 Jahren, lebendig, packend und oft auch erschreckend. Man kann als Leserin nicht umhin, im Geiste ein herzliches Dankeschön an all die VorkämpferInnen zu schicken, die es möglich gemacht haben, dass wir uns heute nicht mehr blind den Konventionen beugen müssen, sondern doch eine Wahl haben, wie wir unser Leben gestalten wollen. Vergelt’s Gott, Schwestern! Und wir bleiben am Ball!


    Die Autorin:
    Dörthe Binkert, geboren in Hagen/Westfalen, wuchs in Frankfurt am Main auf und studierte dort Germanistik, Kunstgeschichte und Politik. Nach ihrer Promotion hat sie dreißig Jahre lang für große deutsche Publikumsverlage gearbeitet. Seit 2007 ist sie freie Autorin und lebt heute in Zürich.



    EDIT
    Hallo, ich habe den Betreff angepasst. LG Seychella

  • Die Rezi ist wirklich toll und macht mich neugierig auf das Buch. Ich habe es mir gleich notiert!


    lg, Frau 32

  • Im Grunde hat Vandam schon alles Wichtige über den Roman gesagt, sowohl was den engeren Inhalt, als auch die Wirkungen angeht. Weit übers Meer ist ein Buch der leisen Sprache und Zwischentöne, wer sich auf die Personenkonstellationen, ihr gesellschaftliches Umfeld und ihre Gedanken und Träume einläßt, wird mit einer faszinierenden Geschichte belohnt, in dem vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Behutsam eröffnet sich Valentinas Vergangenheit und damit jeweils auch ein Stückchen der Lebenswelten ihrer Mitreisenden. Ein Happy-End im klassischen Hollywoodsinn sollte man nicht erwarten, vieles bleibt offen, angedeutet, erlaubt, die Erzählung im eigenen Sinne fortzuspinnen. Für mein Empfinden überwog allerdings die Hoffnung, so daß ich mit diesem Ende sehr zufrieden war.


    Zum Jahresanfang war dies schon ein echtes Highlight, das schwer zu überbieten sein wird. Daher gibt es nicht nur den :tipp: sondern natürlich auch


    5ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Meinen Vorschreiberinnen kann ich mich da nur anschließen.


    Es war ein wunderbares Buch, was ich regelrecht verschlungen habe, und wenn da nicht die Leserunde gewesen wäre, hätte ich dieses Buch an einem Wochenende durchgelesen. Man kann gar nicht mehr aufhören.


    Es ist ein Wohlfühlbuch, ein Buch über die Liebe, das Leben und wie Begegnungen anderer Menschen einen verändern können.


    Von mir gibt es


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    LG Murkxsi

    Mein Lebensmotto: Leben und leben lassen!

  • Hallo liebe Leseratten.


    Es war ein sehr schönes Buch. Ruhig und in einer leisen Sprache wunderbar bildhaft beschrieben, dass man hätte glauben können selbst mit dabei gewesen zu sein, auf dieser Schiffsreise im Jahre 1904. Dabei ließ mich die Autorin vor allem in die Welt der Gedanken, Ängste und Hoffnungen vieler Passagiere eintauchen, die bei dieser Überfahrt von Antwerpen nach Amerika, mehr oder weniger, alle miteinander verbunden schienen. Verbunden durch den Anblick einer Frau, die als blinde Passagierin, es wagte einen mutigen Schritt zu tun. Doch war es wirklich Mut, der sie trieb?
    Dörthe Binkert hat es hier wahrlich geschafft mich Menschen genauer betrachten zu lassen. Menschen, die glaubhaft entschlossen wirkten genauso, wie jene, die vielleicht ein Geheimnis mit sich trugen. Die Unterschiedlichkeit der Menschen, ihrer Schicksale und Vergangenheiten standen hier im Vordergrund und gaben diesem Roman seinen ganz besonderen Anstrich.
    Lebendig und zugleich schön war dieses "Vakuum" der Schiffsüberquerung beschrieben, auf deren Passagiere die Autorin so gut einzugehen wusste.
    Auch mir hat dieses Buch sehr schöne Lesestunden beschert und ich werde es gerne weiter empfehlen.


    Von mir deshalb: 4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüssle
    Marion :winken:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Dem schon hier geschriebenen ist nichts hinzuzufügen.



    Mit ruhigen Bildern, und doch unendlich spannend und frei von Kitsch, erzählt Dörthe den Lesern ihre Geschichte um einen Zeitungsartikel, welchen ein Freund von ihr 2004 als Nachdruck in der "Herald Tribune" gefunden hat.


    Am 23. Juli 1904 begibt sich ein blinder Passagier an Bord eines Überseedampfers.
    Eine Frau, nur mit einem weißen Abendkleid bekleidet, ohne Geld, Pass und andere Papiere, geht an Bord der "Kroonland".
    Diese blinde Passagierin ist natürlich direkt Gesprächsstoff, weckt Ängste, Nöte, aber auch Gefühle in den anderen Mitreisenden.
    Der Leser wird mitgenommen auf eine historische Reise, nicht nur nach Amerika, sondern ins Innere des Menschen und die damaligen gesellschaftlichen Normen.



    Man kann das Buch als berührende Liebesgeschichte und als fesselndes Familiendrama lesen. Aber es ist mehr als das. Es ist ein Sittengemälde aus der Zeit vor 100 Jahren, lebendig, packend und oft auch erschreckend. Man kann als Leserin nicht umhin, im Geiste ein herzliches Dankeschön an all die VorkämpferInnen zu schicken, die es möglich gemacht haben, dass wir uns heute nicht mehr blind den Konventionen beugen müssen, sondern doch eine Wahl haben, wie wir unser Leben gestalten wollen. Vergelt’s Gott, Schwestern! Und wir bleiben am Ball!


    :daumen:



    Auch von mir erhält die Geschichte 5ratten:tipp:

  • Ich werde mich vermutlich vollkommen unbeliebt machen, aber ich fand das Buch nicht gut. Begründung in meiner Rezension hier.


    2ratten

  • Hallo Ihr Lieben,


    im Rahmen des TAMKA-Wettwettbewerbs habe ich endlich begonnen dieses Buch von seinem SUB-Dasein zu befreien und bin jetzt ca. bei der Hälfte angekommen. Bis jetzt kann ich mich den ganzen positiven Meinungen hier nur anschließen. Interessant finde ich vor allem auch, wie nach und nach hinter die Fassade der Passieger geblickt wird und da teilweise ganz schön harte Schicksale zum Vorschein kommen, die man zuerst so gar nicht vermutet hätte. Das große Rätsel ist natürlich die Frau in weiß, aber ich habe schon gemerkt, dass sie die Leute an Board vor allem zum Nachdenken bringt und selber schließlich gar nicht mehr so im Mittelpunkt steht.



    Dörthe Binkert hat es hier wahrlich geschafft mich Menschen genauer betrachten zu lassen. Menschen, die glaubhaft entschlossen wirkten genauso, wie jene, die vielleicht ein Geheimnis mit sich trugen.


    Ja, dem kann ich mich auch nur anschließen: die Menschen und ihre Hintergründe stehen im Mittelpunkt und das Buch hat mich wieder sehr zum Nachdenken gebracht. Wie sehr wir doch immer aufgrund der äußeren Hülle auf das Innere schließen und man lieber hinter die Fassade gucken sollte, bevor man glaubt sich eine Meinung bilden zu können.


    Da muss ich gleich :lesen:


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • So, ich musste gestern das Buch noch beenden und meine Begeisterung ist erhalten geblieben. Ein sehr gelungenes Ende für ein wirklich tolles Buch. Interessant finde ich ja, dass es die geheimnisvolle Dame in weiß, die sich als illegaler Passagier auf ein Schiff einschmuggelt, tatsächlich gegeben hat. Da kann ich gut verstehen, dass die Autorin aufgrund der Zeitungsmeldung so neugierig geworden ist, dass sie gleich eine Geschichte außen herum geschrieben hat.


    Toll finde ich auch, dass das Ende wirklich sehr hoffnungsvoll ist. Obwohl es teilweise offen ist, gibt es so schöne Hinweise auf die Zukunft, dass ich das Buch echt mit einem Lächeln schließen konnte. Ausführliche Rezi folgt noch in den nächsten Tagen!


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • Hallo Ihr Lieben,


    so, hier jetzt auch endlich meine Meinung:


    Antwerpen im Juli 1904: Kurz vor dem Ablegen des Überseedampfers nach New York geht eine junge Frau im langen weißen Abendkleid an Bord. Obwohl sie bereits da für Aufsehen sorgt, macht sich keiner über sie Gedanken. Am nächsten Tag meldet sie sich jedoch als blinder Passagier auf dem Schiff an und die Passagiere an Bord des Schiffes beginnen sich zu fragen, was es mit dieser Frau auf sich hat. Dabei machen sich viele auch Gedanken darüber, warum sie wohl als blinder Passagier an Bord gegangen ist, vor welchem Leben sie wohl geflohen ist und viele fragen sich, ob sie selber nicht auch diesen Schritt gerne tun würden oder tun sollten.


    Die Erzählperspektive wechselt über die verschiedenen Passagiere hinweg und nach und nach, erfährt der Leser nicht nur das Schicksal der Dame in weiß, sondern auch die Schicksale vieler anderer sich an Bord befindenden Mitreisenden. Dabei kommen tragische, traurige, aber auch interessante Schicksale zu Tage und gegen Ende habe ich nicht nur mit der Dame in weiß mitgefiebert.


    Mit schöner Erzählkunst und Liebe zum Detail hat die Autorin aus einem wahren Zeitungsausschnitt über eine blinde Passagierin im weißen Abendkleid einen gesamten Roman gewebt, der sehr gut auf die Konventionen und Regeln der damaligen Zeit eingeht und ein detailliertes Bild des frühen 20. Jahrhundert zeichnet.


    Den Figuren wurde allen Leben eingehaucht und gegen Ende des Buches hatte ich das Gefühl, dass ich liebgewonnene Freunde wieder verlassen muss. Dabei hat die Autorin geschickt den Spagat zwischen offenem Ende, das aber doch Hoffnung macht, und endgültigem Abschluss hinbekommen.


    Alles in allem in schöner Roman, der mir einige schöne Lesestunden beschwert hat und mich mit einem guten Gefühl zurück gelassen hat.


    Dafür gibt es 4ratten


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

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    Im Juni 1904 legt ein großer Passagierdampfer in Antwerpen ab, um über Dover nach New York zu fahren. Unter den vielen Auswanderern und noblen Reisegästen befindet sich auch eine geheimnisvolle Dame, die als Gepäck nur das hat, was sie am Körper trägt, und die trotz ihrer Zurückhaltung Aufsehen erregt. Nach der ersten Nacht gibt sie sich dem Kapitän als blinde Passagierin zu erkennen, woraufhin sie mit etwas Kleidung ausgestattet wird und eine freie 1.-Klasse-Kabine zugewiesen bekommt.


    Der Anfang macht Laune. Dörthe Binkert beschreibt die Atmosphäre im Hafen so lebensecht, dass man die Geräusche und Gerüche fast selbst zu vernehmen glaubt. Auch der Trubel bei der Abfahrt und den ersten Stunden an Bord erscheinen mir realistisch, obwohl ich nie selbst auf einem Kreuzschiff gewesen bin. Es scheint noch eine größere Angelegenheit zu werden, denn in den Text werden protokollartige Aussagen der Besatzung und einigen Reisegästen eingeschoben, die der Geschichte einen gewichtigen Anstrich geben. So weit gefällt mir das schon mal.


    Weniger schön finde ich die Beschreibungen der weiblichen Passagiere. Es wird viel Wert auf Optik gelegt und entsprechend ausführlich geschildert. Das hat dann wieder einen Hauch von Trivialliteratur. Auch wie die Vergangenheit einiger Beteiligter aufgerollt wird, finde ich etwas langweilig. Das hätte sich bestimmt auch spannender einfügen lassen.

  • Ist das Buch ein Sachbuch? Zuerst dachte ich ja nicht, aber weil du das mit der Trivialliteratur schreibst.


    Klingt auf jeden Fall gut. Häfen finde ich spannend, genau wie Bahnhöfe. Es ist dort immer so lebhaft und voller Emotionen!

  • Ist das Buch ein Sachbuch?

    Nein, es handelt sich um einen historischen Roman. Hier gibt es übrigens auch einen Rezensionsthread.


    Übrigens haben mich die detaillierten Beschreibungen damals nicht gestört, weil ich dadurch ein gutes Gefühl für die damalige Zeit und die passenden Figuren bekommen habe.

    (Jetzt frage ich mich bloß, wo mein Fazit damals abgeblieben ist?:/)

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Ist das Buch ein Sachbuch? Zuerst dachte ich ja nicht, aber weil du das mit der Trivialliteratur schreibst.

    Nein, kein Sachbuch, wie dubh schon schrieb. Am Anfang ist es eine Schilderung der Umgebung mit viel Flair, wie man es in einem einfach gehaltenen Sachbuch finden könnte, aber wenn die Erzählung sich auf die Charaktere verlegt, wird es eben etwas trivial. Für mich persönlich mache ich einen Unterschied in Kategorien wie "anspruchsvolle Literatur", "normale Literatur" und "Trivialliteratur", deshalb ist mir der Begriff rausgerutscht. "Kitschig" wollte ich nicht schreiben :breitgrins:. Wenn Liebes- oder Beziehungsgeschichten ins Schmalzige abdriften, und dazu zählt für mich auch der Stil, habe ich wenig Geduld, und dann kommt schon mal so eine Forumulierung.


    Zum Inhalt schreibe ich später noch etwas.

  • Na ja, wenn man sich schon öfter über irgendwelchen seichten Mist geärgert hat, entstehen solche Begriffe wie von selbst :zwinker:.

  • Forumulierung.

    Man beachte die Schreibweise. Das ist mir jetzt erst aufgefallen :verlegen:. Ist wohl sowas wie ein freudscher Verschreiber.


    Aber weiter mit dem Inhalt. Die blinde Passagierin Valentina wird bestens versorgt und kommt bei der Männerwelt gut an, die liegen ihr förmlich zu Füßen, während die Frauen - und nicht nur die Ehefrauen - aus den unterschiedlichsten Gründen misstrauisch, neidisch oder eifersüchtig werden. Ich frage mich, ob eine blinde Passagierin der unteren Gesellschaftsschicht genauso zuvorkommend behandelt werden würde. Kleider machen eben Leute.


    #MeToo wirft in diesem Buch (von 2008) auch schon seine Schatten voraus.


    Durch kurze Rückblenden in die Vergangenheit und diverse Gespräche erfährt man immer mehr über die einzelnen Reisenden. Es ist eine Mischung aus Menschen in den unterschiedlichsten Beziehungskonstellationen, die alle in irgend einer Weise an etwas oder jemanden gefesselt sind. Daher kommt wahrscheinlich die Faszination gegenüber Valentina mit dem Abendkleid und ein paar Ohrringen als einzigem Besitz, die das gemacht hat, was sich wenigstens einige der Mitreisenden bewusst oder unbewusst wünschen: Die eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und familiäre oder gesellschaftliche Ketten ohne Rücksicht auf andere abzustreifen.

  • Gefällt dir das Buch nun besser? Ich bin mir gerade nicht so sicher, ob mir das jetzt gefallen würde von der Handlung/Personen oder ich nicht evtl. genervt wäre.

  • Ich bin unschlüssig. Eigentlich hat die Geschichte Potenzial, besonders einige der Figuren. Bisher wurde aber noch nicht viel daraus gemacht; das kann noch kommen. Andererseits finde ich das Buch sprachlich bis auf einige Passagen nur durchschnittlich. Manche Begebenheiten grenzen schon an Kitsch und Klischees. Über einiges kann ich mich nur ärgern, so die oben schon erwähnte Hingabe der Männer und Eifersucht der Frauen. Es wird alles nur angekratzt und nicht ausführlich abgehandelt. Das kann sich aber noch ändern, wenn die Autorin nicht noch mehr Beteiligte einführt und sich in der zweiten Hälfte des Buches auf die wesentlichen Personen konzentriert.


    Wie schon öfter muss ich dazusagen, dass ich solche Bücher eigentlich selten lese, weil sie grundsätzlich nicht mein Fall sind. Der zugehörige Buch-Thread im Forum spricht eine ganz andere Sprache.


    Manchmal lasse ich mich von Bewertungen verführen, die sich begeistert anhören und über den tollen Stil jubeln, um dann selbst festzustellen, dass meine Vorstellungen von einem tollen Stil andere sind.