FAZ: Literatur in der Schule. Warum Klassiker?

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  • Gerade entdeckt:


    Zitat

    Noch immer lesen Schüler im Unterricht den „Faust“ - ein zweihundert Jahre altes Stück, das sie ohne Hilfe nicht mehr verstehen. Warum sich Schüler mit Literaturklassikern schwertun. Und sie trotzdem lesen sollten.


    Literatur in der Schule. Warum Klassiker?


    Liebe Grüße
    Suse

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Zitat

    Warum sich Schüler mit Literaturklassikern schwertun. Und sie trotzdem lesen sollten.





    Wäre vielleicht zunächst mal Aufgabe des Unterrichts. Natürlich liest man ungern Texte, die man nicht versteht und die man auch für irrelevant hält.
    Ich kann mir vorstellen, dass es heute einfacher ist, Schülern verständlich zu machen, warum sie sich auch mit ungewöhnlichen Begriffen und abweichender Bedeutung bekannter Begriffe befassen müssen:
    Heute lernen wir mindestens wöchentlich neue Begriffe aus den Medien. Gerade auch im Zusammenhang mit Technologie und Kultur. Früher musste man sich diese Begriffe irgendwie selbst beibringen oder erklären oder einfach aufschnappen; heute werden sie zum Thema gemacht und oft beim Smalltalk diskutiert ("Hast du schon den neuesten Ausdruck für ... gehört? Weiß du, was (ein) ... ist?").


    Aus meiner Schulzeit erinnere ich mich an Mitschüler, die vor Klassenarbeiten schnell noch mal ein paar Versierte fragten, worum es in dem zu lesenden Text eigentlich ginge.
    Das fällt ja heute dank Wikipedia weg, so dass der Text allg. einfacher zu verstehen sein dürfte.


    LG von
    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

    Einmal editiert, zuletzt von Keshia ()

  • Auf die Gefahr hin zynisch zu wirken: So lernt man als Schüler, dass im Leben nicht immer alles einfach ist.
    Ich finde es schrecklich, dass - wie im Text treffend beschrieben ist - die Tendenz dahin geht, den Gegenstand anzupassen statt sich selbst daran anzupassen.
    Es kann nicht immer alles bequem sein, man muss sich ab und zu mal auf den Hosenboden setzen und sich durchkämpfen. Dafür kann die Freude umso größer sein, wenn man die Sache dann geschafft hat. Beispielsweise einen Klassiker durchgearbeitet zu haben und Stück für Stück verstanden und sich damit auseinandergesetzt (!) zu haben. Anstatt einen Text zu lesen, der im schlimmsten Fall mit In Anlehnung an ... beschrieben werden kann (Ich muss zugeben, dass ich bisher keine vereinfachte Lektüre, von der im Artikel die Rede ist, gelesen zu haben. Kann sein, dass ich überreagiere).


    Es gilt über den Tellerrand hinauszublicken - hier unter anderem die Wandelbarkeit der Sprache zu erfahren. Das ist nur eine Facette, die durch Bequemlichkeit (was ich jetzt einfach mal unterstelle) verloren geht, wenn Klassiker aus dem Unterricht ausscheiden bzw. verändert werden.
    Ich frage mich häufig, weshalb Texte, die vor mehr als 100 Jahren geschrieben wurden, als langweilig, schwierig, ... gesehen werden. Zum Teil ist es sicher Gewohnheit: Man muss erst wieder in Sprechweise, Wortwahl o. Ä. reinkommen, aber dann? Wieso ist das so schwierig? - und es ist ja nicht so, als würde man nichts weiter gewinnen. Man könnte so bspw. häufig prima Deutsch- und Geschichtsunterricht verknüpfen.


    Und wie Keshia gesagt hat: Es ist Aufgabe des Unterrichts. Immerhin wird (so meine Erfahrung) der Text in der Schule behandelt, nicht nur eine Seite nach der anderen gelesen, ohne darauf einzugehen.

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing

    Einmal editiert, zuletzt von British_Soul ()

  • British_Soul
    Ja genau, das finde ich auch traurig. Du Mal gerade hier die erste Auseinandersetzung mit Schwierigerem anfängt. Wenn man das gemeistert hat, traut man sich eben auch an andere schwierige Worte und Texte heran. Z.B Fremdwörter in wissenschaftlichen Aufsätzen und das ist eine Kompetenz die im Gymnasium eigentlich Standard sein sollte, da ja hier auch die Vorbereitung auf die Uni eine Kompetenz ist, die erlernt werden soll. Allerdings finde ich das im Artikel auch manches mal etwas durcheinander gebracht wird. Im Förderunterricht z.B nicht unbedingt die ganz schweren Brocken zu lesen, finde ich durchaus legitim. Meine Cousine war in der Förderschule und wäre mit schweren Texten tatsächlich überfordert gewesen.
    Und ich denke, als Teenie findet man sowieso Schule doof egal ob man Faust liest oder nicht ;) Ich hatte aber Glück mit meiner Deutschlehrerin, sie konnte sehr begeistern. Und auch in der Berufsschule hatten wir einen tollen Literaturkundelehrer, der einfach selbst so begeistert war, das sogar diejenigen begeistert wurden, die eigentlich kein großes Interesse an Klassikern hatten. Da ist oft das Menschliche hinter dem Lehrer entscheidender, also das wie und nicht das was, das den Unterricht lenkt.
    Und ja auch in der Realschule ist die Vorbereitung auf das Berufsleben noch mal anders ausgelegt. Das sollte man dabei nicht vergessen und dementsprechend wird die Lektüre auch anders vorgeschlagen und ebenso in der Hauptschule.


  • British_Soul
    Ja genau, das finde ich auch traurig. Du Mal gerade hier die erste Auseinandersetzung mit Schwierigerem anfängt. Wenn man das gemeistert hat, traut man sich eben auch an andere schwierige Worte und Texte heran.


    Einverstanden. Aber sind das nicht auch Argumente vieler Lehrer und einer der Gründe warum Literaturunterricht zumindest von so vielen als so schrecklich empfunden wird / wurde!?


    Gruß, Thomas


  • Auf die Gefahr hin zynisch zu wirken: So lernt man als Schüler, dass im Leben nicht immer alles einfach ist.


    Das war auch mein erster Gedanke :breitgrins: Ich finde diese Tendenz, alles in mundgerechten, körperwarmen Häppchen zu servieren, dass sich bloß ja keiner überfordert fühlt, ziemlich bescheuert.


    Andererseits fand ich selbst den Deutschunterricht oft öde, trocken, mochte dieses Totanalysieren der Texte nicht und noch viel weniger, dass häufig nur die Interpretation, wie sie im Lehrbuch steht, akzeptiert wurde. Das steht und fällt aber meiner Meinung nach mit dem jeweiligen Lehrer. Ich fand z.B. "Woyzeck" von Georg Büchner schrecklich zu lesen, aber wir hatten darüber richtig großartige Diskussionen im Unterricht, so dass ich das Buch ingesamt doch in guter Erinnerung behalten habe.


    Wenn ein Lehrer es schafft, den Bogen von der klassischen Lektüre zur heutigen Zeit zu schlagen - viele Themen sind doch heute noch genauso aktuell wie damals, nur halt in einem anderen "Gewand" - und vielleicht auch ein wenig den Blick für die Schönheit der Sprache zu schärfen, kann das Ganze nämlich wirklich Spaß machen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Im Förderunterricht z.B nicht unbedingt die ganz schweren Brocken zu lesen, finde ich durchaus legitim. Meine Cousine war in der Förderschule und wäre mit schweren Texten tatsächlich überfordert gewesen.


    Stimmt - das habe ich ganz vergessen. Einige Zugeständnisse sind ratsam.


    Ich vermute hier im Forum gibt es kaum jemanden, der gegen Klassiker im Schulunterricht ist. Solche Argumente von Leseratten wären sicherlich auch spannend.

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing


  • Auf die Gefahr hin zynisch zu wirken: So lernt man als Schüler, dass im Leben nicht immer alles einfach ist.


    Ich würde eher sagen: So lernt man als Schüler, dass Literatur Scheiße ist.


    Natürlich, ein hervorragender Lehrer kann auch für die schwierigsten Texte begeistern, aber wo sind sie denn alle, die begeisterungsfähigen Lehrer? (Ich habe einen erlebt, und der hat Matte unterrichtet.)


    Wirklich mit den Augen gerollt habe ich bei der Erwähnung des Undinges, "David Copperfield" im Englischunterricht den Schülern in einer gekürzten Version vorzulegen. Ich halte es eher für ein Unding, Schülern den originalen Copperfield zuzumuten. Ganz abgesehen von Dickens' antiquierter Schreibweise mit vielen altertümlichen Wörtern und langen Sätzen - wie viele Seiten hat der Brocken*? Wie lange soll man im Fremdsprachenunterricht daran lesen? Soll ein gesamtes Halbjahr mit einer einzigen Lektüre verbracht werden? Wenn Dickens - und ich mag Dickens wirklich gerne - dann bitte in Auszügen oder z. B. seine Weihnachtserzählung.


    *837 Seiten in meiner Ausgabe von Wordsworth Classic. Kleingedruckt, 43 Zeilen pro Seite.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ach ja, fast vergessen:

    Zitat

    umgekehrt ist es: der Einzelne, der Große Kunst verstehend genießen will, hat sich gefälligst zu ihr hin zu bemühen!


    Bitte sehr, alle ihr großen Kunstgenießer und -versteher* - kämpft euch doch gerne mit irgendwelchen Großen Werken ab, wenn es euch Spaß macht (und das kann durchaus Spaß machen), aber zwingt bitte nicht andere dazu! Da ist nämlich das kleine Wörtchen "will", das im Zusammenhang so wichtig ist und das im Schulunterricht so schön missachtet wird. Da steht eher der Lehrer, die Schule, das Kultusministerium mit der Peitsche hinter den Schülern und sagt: "Lest! Versteht! Genießt!" Und wehe nicht!


    *Foristen sind nicht gemeint, sondern eher solche Typen wie der Följetonist, die in den höheren Sphären der Kunst schweben und sich überhaupt nicht in einen sportbegeisterten, nichtlesenden (wann auch, der hat mit anderem genug zu tun) 17-jährigen Schüler wie meinen Neffen hineinversetzen kann oder will, dem Fontanes "Jenny Treibel" völlig am Arsch vorbeigeht.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich würde eher sagen: So lernt man als Schüler, dass Literatur Scheiße ist.


    Ich widerspreche! :zwinker: Aber ok, ich scheine da selbst im Forum die Ausnahme zu sein und fand Schullektüre bis auf einen Fall immer wahnsinnig toll.
    Von daher kann ich es schon verstehen - und ohne einen Lehrer, der die Klasse mitreißen oder es ihr wenigstens etwas schmackhaft machen kann, wird das selten was.


    Soll ein gesamtes Halbjahr mit einer einzigen Lektüre verbracht werden?


    Das war bei uns - zumindest in der Oberstufe - üblich; bei euch nicht? Manch einer würde dann sagen, dass man somit das Werk durchkaut, hm ja... aber wir haben das dann mit Bezügen zu Zeitungsartikeln, mit Analysen und Erörterungen, geschichtlichen Hintergründen usw. ausgeschmückt, sodass es (Ich kann nur für mich sprechen) ein rundes Erlebnis war - auch wenn man manchmal meinte, der Lehrer interpretiert da mehr als der Autor hinein. :breitgrins:

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing

  • Ich vermute hier im Forum gibt es kaum jemanden, der gegen Klassiker im Schulunterricht ist. Solche Argumente von Leseratten wären sicherlich auch spannend.


    Hm, wenn ich an meine eigene Schulzeit denke, bin ich gespalten was die Mittelstufe betrifft. Ich war vielleicht insofern eine etwas untypische Schülerin, als ich mich unbedingt an den Erwachsenen orientieren wollte, nicht wie viele andere an den Gleichaltrigen.
    Und dann lasen wir Bücher im Unterricht, sowohl Kinderbücher als auch ältere Klassiker, die sich mit erst mal nicht erschlossen, die unbekannte Wörter und teils auch fremde, nicht nachvollziehbare Situationen enthielten: Mein Gefühl dabei war immer, dass ich wohl einen schlechten, einen falschen Geschmack hätte, weil ich eben in meiner Freizeit so etwas nicht lesen würde bzw. ohne Analyse oder Erklärungen auch mit einigen der Bücher gar nichts anfangen konnte.


    Das Lesen von älteren Büchern, die ich von Zuhause nicht kannte (und meine Eltern hatten massiv Bücher im Haus, teilweise noch vom Vermieter hinterlassen, also auch ältere Werke), erwecke in mir das Gefühl, dass diese Bücher irgendwie anders, abgehoben waren. Nach den ersten Kurzgeschichteninterpretationen hatte ich den Eindruck, Kurzgeschichten seien eine Art Code, den es zu entschlüsseln galt, und nicht für das Lesen in Alltag und Freizeit gedacht.
    Diese Art der Vermittlung entfremdete mich also eher den in der Schule besprochenen Werken. Keines davon hätte ich freiwillig aus der Buchhandlung mitgenommen (dies änderte sich mit der Oberstufe).


    Ich hatte jedenfalls auch durch Aussagen von Deutschlehrern bzgl. "Triviallitertur" das Gefühl, das meine Freizeitbücher eher ein schlechtes Licht auf mich werfen würden und definitiv keiner "Diskussion" würdig seien - weil ich sie eben ohne Wörterbuch und Interpretationshilfe verstand. :rollen:


    Daher würde ich heute in der Schule eher von sehr bekannten Werken, die die aktuellen Schüler wirklich privat lesen langsam zu Werken gehen, die den Schülern erst mal nur etwas "fremd" sind.
    So würden die Schüler lernen, dass auch die Bücher, die sie freiwillig zu Hause lesen, interpretationswürdig und interessant sind und ihr eigener Geschmack auch in der Schule relevant ist.
    Dann wären vielleicht später mehr Schüler für Werke aufgeschlossen, die sie sich erst mal erschlißen müssen, weil klar wäre, dass ihr Geschmack nicht irgendwie auf ihre Ignoranz oder Dummheit schließen lässt. Und halt nicht "schlecht" oder "trivial" ist.
    Durch das Lesen von Klassikern in der Schule entstseht auch gern der Eindruck, nur diese wären überhaupt interpretationswürdig bzw. nur bei diesen wäre überhaupt eine Interpretation möglich.


    Dabei kann man ja aktuelle Filme und Beststeller genauso interpretieren. Auch das sollte man den Schülern klar machen, mMn bevor es an die Klassiker geht, um eben Missverständnisse auszuschließen.


    LG von
    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

    Einmal editiert, zuletzt von Keshia ()

  • PS
    Eine weitere Folge der Schullektüre:
    Ich hatte beim Lesen von "Klassikern" immer den Stress, sofort "die richtige Interpretation" zu finden und fühlte mich ständig wie im Matheunterricht (die richtige Lösung suchen :rollen:).
    Erst später, nach der Schullektüre, konnte ich ein Buch auch mal in Ruhe lesen und mir kamen hinterher Ideen dazu, ohne den Stress, "die richtige Interpretation" finden zu müssen.


    Sehr viel später entdeckte ich die Seite "Beyond Little House", auf der Erwachsene über die Bücher von Laura Ingalls Wilder diskutierten, immer wieder neue Fakten beitrugen aber auch Überlegungen zu den Inhalten und Formulierungen und zu einzelnen Personen in den fiktiven Büchern und in realen Leben von LIW.


    Liebend gern hätte ich als Schülerin der Mittelstufe so eine Seite zu einem meiner privaten Bücher gefunden, die mir gesagt hätte, dass auch diese Werke durchaus interpretiert werden können und durch Diskussion und Überlegungen weitere Verständnisebenen freigeben.
    Und nicht nur die mir eher fernen in der Schule besprochenen Werke.


    LG von
    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

  • Daher würde ich heute in der Schule eher von sehr bekannten Werken, die die aktuellen Schüler wirklich privat lesen langsam zu Werken gehen, die den Schülern erst mal nur etwas "fremd" sind.


    Wird das nicht gemacht? Ich weiß nicht wie üblich das ist, aber bei uns wurde in der Grundschule wurde mit altersgerechten Büchern und Gedichten begonnen und diese behandelt. Das steigerte sich dann immer langsam, bis in der Oberstufe dann intensiv auf Klassiker eingegangen wurde.


    Mit der Sorge um die "richtige Interpretation" spricht du was an Keshia ... das habe ich so nicht bedacht, aber ja. Noch heute zögere ich hier einen Thread zu einem Klassiker zu beginnen, aus Furcht, den Kern nicht erfasst zu haben oder etwas falsch interpretiert zu haben. Als Schüler mit einer Klausur kann das einem noch bedrohlicher erscheinen.


    Die angesprochenen Punkte finde ich durchaus nachvollziehbar und wichtig bei der Berücksichtigung. Im Hinterkopf stellt sich mir aber gleichzeitig die Frage, ob die Lösung sein kann, Klassiker zu streichen. (@ Saltanah: Oder meinst du damit „Klassiker mit Einschränkungen“ wie z. B. keine Wälzer?)
    [EDIT: Ich sehe gerade, du hast Auszüge erwähnt. Das wäre tatsächlich eine praktikable Idee. So bringt man die Wandelbarkeit der Sprache nahe, kann besonders wichtige Passagen behandelt und auf andere relevant erscheinende Aspekte eingehen. Trotzdem wäre ich dafür, dass man das nicht mit allen Klassikern macht. :zwinker:]
    Der Unterricht sollte um die Lektüre herum vielleicht anders gestaltet werden? Aber das kann ich kaum beurteilen und würde mich zu weit aus dem Fenster lehnen. Wobei den Lehrern ohnehin schon x Aufgaben gegeben werden, die sie vermitteln sollen – natürlich alles schön aufbereitet und ansprechend. Es ist ein wahrlich zweischneidiges Messer…

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing

    Einmal editiert, zuletzt von British_Soul ()

  • Ich finde klasse, was hier steht. Da koennte man einen wunderbaren FAZ-Artikel draus machen. Aeussere mich spaeter vom Laptop aus.

  • Saltanah hat natürlich recht, was den Umfang der Lektüre angeht. Ein 800-Seiten-Wälzer ist einfach nicht praktikabel als Schullektüre. Eine gekürzte Fassung ist mMn aber auch keine Lösung. Dann lieber ganz was anderes lesen. Es gibt ja auch im Englischen bei weitem nicht nur Dickens.


    Zitat von Keshia

    Dann wären vielleicht später mehr Schüler für Werke aufgeschlossen, die sie sich erst mal erschlißen müssen, weil klar wäre, dass ihr Geschmack nicht irgendwie auf ihre Ignoranz oder Dummheit schließen lässt. Und halt nicht "schlecht" oder "trivial" ist.
    Durch das Lesen von Klassikern in der Schule entstseht auch gern der Eindruck, nur diese wären überhaupt interpretationswürdig bzw. nur bei diesen wäre überhaupt eine Interpretation möglich.


    Dabei kann man ja aktuelle Filme und Beststeller genauso interpretieren. Auch das sollte man den Schülern klar machen, mMn bevor es an die Klassiker geht, um eben Missverständnisse auszuschließen.


    Sehe ich genauso. Eine gute Mischung aus Klassikern und Aktuellem fände ich gut (siehe auch die Diskussion im anderen Thread über Gegenwartsliteratur in der Schule). Es gibt ja auch leichter zugängliche Klassiker.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich gehöre zu denjenigen, die während der Schulzeit sehr viele Bücher lesen durfte/musste. Ich habe eigentlich seit dem ich flüssig lesen kann, immer (bis auf eine Pause während der Pubertät) viel gelesen, aber sobald es darum ging, ein Buch im Unterricht zu lesen, hat es mir keinen Spaß gemacht. Der Hauptgrund war eigentlich immer, dass alles zu Tode analysiert worden ist. Ich denke auch, dass das hauptsächlich dazu beiträgt, dass viele keine Lust haben ein Buch im Unterricht zu lesen (oder auch später privat), weil selbst die einfachste Lektüre so dermaßen zerlegt wird, dass ich danach schon häufig das Gefühl hatte, mir käme der gesamte Text bald aus den Ohren heraus. Außerdem erschien es mir häufig so, dass es für die Lehrkörper auch nur eine lästige Pflicht gewesen sei, da sie gar nicht wirklich versucht haben, ein Verständnis für die jeweilige Epoche bzw den Schreibstil sich entwickeln zu lassen. Daher finde ich, dass es nicht daran liegt, dass die Lektüre zu "schwer" für die heutige Jugend ist, sondern, dass viele Lehrer es noch nicht schaffen, ein wirkliches Interesse für die Zeit und den jeweiligen Stil der Epoche zu wecken. Denn meiner Meinung nach, geht es nicht so sehr darum, wie der Satz xy auf Seite abcd zu verstehen ist, wenn man sonst so wenig über die Hintergründe des Romans weiß.

    Wer Bücher kauft, kauft Wertpapiere! - Erich Kästner<br /><br />SLW 2016 9/30

    Einmal editiert, zuletzt von YRachel ()

  • Stimme YRachel zu. Hab immer viel gelesen aber die Schullektüre gehasst. Vor allem weil unsere Lehrerin dann blöde fragen gestellt hat a la "welche Farbe hatte die Tischdecke". Dadurch wollte sie sehen wer das Buch gelesen hat. :rollen:


    Ob der Inhalt verstanden wurde war egal.

  • Ich finde ganz interessant was Keshia schreibt und kann vieles nachvollziehen. Den Stress der Interpretation habe ich auch empfunden, das war aber unabhängig davon, ob es ein Klassiker war oder nicht. Wir haben ohnehin bis zum Abitur _keinen_ echten Klassiker gelesen. Habe immer Lehrer wählen können, die Literatur etwas abseits vom Mainstream angeboten haben (in der Oberstufe konnten wir unsere Kurse frei wählen, und in der Unterstufe wurde auch nicht viel gemacht).


    Ein Grundproblem des Deutschunterrichts ist für einen mathematisch begabten Schüler wie mich, die Sinnhaftigkeit solcher Lektüre. Ich wusste ja das ich lesen kann (las intensiv Sachbuchliteratur). Was sollte mir der Deutschunterricht beibringen? Wozu soll man ein Buch interpretieren? Welchen Nutzen soll das im Berufsleben haben? Mir ist erst Jahre später klar geworden, dass man mit Mathematik und Physik keine Fragen großen Liebeskummers beantworten kann. Dass aber Kunst, Religion und Literatur durchaus Trost spenden können. Und da ist mir erst aufgegangen, dass eine Hinführung an diese Themen auch einen Wert hat. So fing ich erst nach der Schule mit dem Lesen von Literatur an, beschäftigte mich mit Kunst und Religion. Texte können Empathie schulen, aber durch Interpretation und dem Suchen der "richtigen" Codes wird das eben nicht erreicht.


    Gruß, Thomas

  • Und es gibt noch was anderes, was ich auch beobachtet habe: Im Prinzip arbeitete man sich von einfachen Texten zu schwierigeren vor. Ich habe das jedoch nicht als Kontinuum erlebt. In der Oberstufe gab es einen Bruch und ich fühlte mich vollkommen fremd im Deutschunterricht, auf einmal wurde auf einem ganz anderem Niveau diskutiert. Das war ein Schock und ich stand anfangs genauso unbeholfen vor dem Text wie vor der ersten Autofahrt oder dem ersten echten Kuss. :breitgrins:


    Ich denke, nur eine einzige Stunde darüber, was Deutschunterricht soll, hätte mir manche innere Auflehnung erspart.


    Gruß, Thomas


  • Vor allem weil unsere Lehrerin dann blöde fragen gestellt hat a la "welche Farbe hatte die Tischdecke". Dadurch wollte sie sehen wer das Buch gelesen hat. :rollen:


    Das ist natürlich vollkommen schwachsinnig. Habe ich nie erlebt und auch aus anderen Klassen nicht gehört.